Das „System“
7. September 2012 von admin
»Die Armut kehrt nach Europa zurück«, stellte kürzlich Jan Zijderveld, Chef des riesigen Lebensmittelkonzerns Unilever fest. Ist es nicht verwunderlich: Je entwickelter die Technik, je höher die Produktivität, desto geringer die Versorgung, desto mehr Armut, desto mehr Leistungen „müssen“ abgebaut werden. Ist das System nicht vielleicht doch nicht der gute Regelungsmechanismus, wie medial behauptet? Marktgläubige beruhigen uns: Ja, wenn man den Markt ließe, dann wäre alles in Ordnung, aber man (der böse Staat) lässt ihn nicht, und so läuft alles schief. Aber warum lässt ihn der Staat nicht? Der Staat, sprich die Regierung, versucht Härten, die der Markt schafft, abzumildern, um sich das System als Lenkungsautomat zu erhalten. Wenn man den Moraltheoretiker Adam Smith genau liest, dann erfährt man, dass der Markt eine natürliche Tendenz hat, die Vermögen (das „Können“) zu konzentrieren und schließlich bei wenigen mit einander verbündeten Finanzkapitalisten abzulegen, während die Vermögen der Produzenten (Arbeiter und wirkliche Unternehmer, nicht Bürokraten wie schleimige Manager von Großunternehmen) gegen Null gehen. Die Österreichische Schule hat diesen Aspekt mit einer latenten Gleichgewichtsprämisse weitgehend retuschiert. Marx vernebelte das System, indem er den Konflikt zwischen Produzenten und Finanzkapitalisten auf Arbeiter und Unternehmer verlagerte.
Die Geschichte hat gezeigt, dass Smith im Grunde Recht behielt. Selbst die Eingriffe der Regierungen konnten daran nichts ändern. Weshalb? Weil sie das System um jeden Preis erhalten wollten und nur an die Hauptreibungsstellen Schmierseife kippten. Das Hauptinteresse am Systemerhalt lässt ihnen immer weniger Schmierseife und so nehmen die Reibungsstellen und Härten für die breite Bevölkerung systembedingt zu. In der breiten Bevölkerung streitet man sich nur, wem man die Härten zumuten solle, und nicht darüber, warum sie entstehen. So bekamen sie zuerst die Menschen in der Dritten Welt, dann in der Zweiten, dann in den Randzonen der Ersten zu spüren. Sie durchsäuern inzwischen die Gesamtgesellschaft. Die Ursache, die im Verteilungsmechanismus des Marktes unter dem Einfluss der Vermögen aus früheren Verteilungsvorgängen, bleibt unberücksichtigt. Statt dessen werden andere „Schuldige“ gesucht.
Einer, der Hauptschuldigen soll eben die „Technik“ sein, mit deren Hilfe sich die Arbeitsproduktivität soweit steigern ließ, dass die bisherigen Versorgungsniveaus möglich wurden. Sie führe – wird geklagt – zu Umweltschäden (allerdings nur unter dem nicht genannten Verwertungszwang des Marktsystems). Diese Schäden, beziehungsweise die zur Vermeidung solcher Schäden nötigen Maßnahmen (Umweltschutz), seien letztendlich für die zunehmende reale Verarmung verantwortlich. (Bei den meisten Maßnahmen handelt es sich um Zwangskonsummaßnahmen, um die Betriebe am Laufen zu halten – das gilt weitgehend vom Kat über die Glühbirne bis zu den Windmühlen, Photovoltaik-Paneelen und Biogas-Anlagen der Energiewende mit ihren neuen Stromnetzen etc.). Der Grund für die eventuelle negative Wirkung der Technik liegt in ihrem falschen Einsatz.
Dieser ergibt sich aus den Zuteilungstendenzen des Marktes, die Karl Marx unter „Tendenzieller Fall der Profitrate“ nur zum Teil erfasst und unzureichend deutet. Praktisch unterliegt sie zwei Prozessen: 1. die Investition in entwickeltere Produktionstechniken ist weniger rentabel als die sogenannte „Ursprüngliche Akkumulation“, d.h. die Einbeziehung neuer Arbeitskräfte auf nahezu gleichbleibendem technischen Niveau (Globalisierung), und 2. Die Unterversorgung des Marktes mit Gütern ist aufgrund des damit verbundenen Preisanstiegs rentabler als eine Überversorgung angesichts einer begrenzten Zahlungsfähigkeit der Nachfrage. Das Gewinnstreben vieler kleiner Anbieter sorgte anfangs für eine Tendenz der Überversorgung mit sinkenden Preisen, und erlaubte Produktivitätssteigerungen und weitgehend den Absatz der investitionsbedingten Überproduktion. Die vom Markt bewirkte Konzentration der Produzenten in wenige Hände und ihre zunehmende Abhängigkeit von Fremdfinanzierungen über das Finanzkapital, erlaubt heute, solche Rentabilitätsgrenzen zu umgehen und die Produktmenge so zu begrenzen, dass der Preis die Rentabilität in Geld sichert. Dadurch wird aber die „Realisierung“ der Geldgewinne eingeschränkt (Fehlen rentabler, „realer“ Investitionsmöglichkeiten). Aus diesem Grund bildeten sich rein spekulative Finanzmärkte (Investition in fiktive, rein monetäre Anlagen).
Die rentabilitätsbedingte Unterinvestition in die reale Produktion lässt die Versorgung schrumpfen (Deflation). Damit wachsen zugleich die sogenannten Vaux frais, d. h. die Erhaltungskosten des Systems. Dazu zählen nicht nur Kriege und der Überwachungsapparat (wie bei Marx), sondern vor allem auch die Bail-Out Kosten für das Spekulationssystems der Finanzmärkte wie in der der gegenwärtigen Krise. Diese ergeben sich aus der Masturbation des Finanzkapitals, das dank der Erlaubnis zu selbständigen Geldschöpfung auf die Herstellung realer Werte durch Produzenten kaum mehr angewiesen ist (nur knapp 2% der Geldtransaktionen auf dem Weltmarkt vermitteln reale Güter und Dienste, 98% fiktive Werte, sogen. Wertpapiere und Valuta). Damit nimmt der „Kasino-Kapitalismus“ das Systemende bereits vorweg.
Warum wird das System trotzdem noch mit Zähnen und Klauen verteidigt? Der Grund ist relativ einfach zu erkennen: Der fiktive Traum von Freiheit. Es hat sich bisher noch keine Alternative finden lassen, durch die die scheinbare Freiheit des Einzelnen, d.h. die individuelle Einzelinitiative im lebensnotwendigen Stoffwechsel zwischen „Mensch und Natur“ mit dem Gelingen der evolutionären Entwicklung der Gesellschaft und der sie umgreifenden Biosphäre in Einklang gebracht werden kann, ohne dass diese Vermittlung von einzelnen Menschen, „Herrschern“, nach ihrem jeweiligen Kenntnisstand mehr oder weniger zwanghaft durchgesetzt wird. „Der Markt“ (mit der falschen Gleichgewichtsprämisse) liefert den leitenden Funktionären des zur Geldschöpfung berechtigten Finanzkapitals die Maske, hinter der sie die Willkür ihrer Herrschaft (in Bezug auf die „reale“ Entwicklung) verstecken können. Die bisher angebotenen Alternativen einer kollektiven, durch gegenseitige Verständigung vermittelten Herrschaft waren immer nur Rückblicke auf quasi urkommunistische Kommunen, die nur in sehr engem Kreis und damit (selbst bei Einsatz von außen bezogener moderner Techniken) in einer unterentwickelten Gesellschaftsformation eher schlecht als recht funktioniert haben.
Doch deuten sich in Großbetrieben schon Entwicklungen an, die auf künftige Gesellschaftsformationen verweisen. An Fronten produktionstechnologischer Entwicklung funktioniert Befehl und Gehorsam nicht mehr, sondern nur „Teamarbeit“ in relativ kleinen Gruppen. Viele solcher technisch kreativer Zellen werden aus den Unternehmen in quasi selbständige Subunternehmen „outgesourced“, um sie dem verdeckten, verschleierten Druck der Scheinselbständigkeit auszusetzen. Die „Herrschaft“ besteht in der Zwecksetzung bezw. Zielvorgabe durch den zahlungsfähigen Endabnehmer oder Verwerter. Das antreibende Moment (die Knute) bleibt die Geldgewinnaussicht. Mit der Bindung an „Geld“ (Geldgewinn) setzt sich die Marktgesetzlichkeit („Warencharakter“) weiterhin als Oberherrschaft durch. Das bedeutet: Die technologische Errungenschaft kommt nicht in erster Linie dem Stoffwechsel der Menschen und „der Natur“ (Biosphäre) zu gute, sondern unter dem Marktgesetz der weiteren Vermögenskonzentration (Bereicherung) der Topfinanzkapitalisten und wirkt für die Menschen daher zunehmend kontraproduktiv – auch wenn die meisten das aus ideologischer Verblendung (noch)nicht wahrhaben wollen. Die Herrschaftsgrundlage „Zwecksetzung“ sollte in einer Demokratischen Gesellschaft „demokratisch“ erfolgen und nicht als „alternativlose“ Interpretation des Systemzwangs.
Aus ihm erklärt sich auch der jüngste Alarm, den zum Beispiel das Bundesarbeitsministerium ausgelöst hat. Es hatte aufgrund der üblichen Prognose-Techniken errechnet, dass Arbeitnehmern, die heute € 2500.- im Monat verdienen und dies ohne Unterbrechungen (z.B. durch Arbeitslosigkeit) mindestens 35 Jahre lang, bei Erreichen des Rentenalters eine gesetzliche Rente von ganze € 688 zustünde. Wer weniger verdient oder z.B. wegen Arbeitslosigkeit weniger lange arbeitet, wird als Rentner „altersarmer“ Sozialhilfeempfänger. Das ist der Grund, weshalb die Arbeitsministerin eine Zuschussrente fordert, die ein Renteneinkommen von mindestens € 850 garantieren soll. Sie wird von Rot-Grün natürlich nur, weil das „zu wenig“ sei, (aber wie bisher üblich, im Interesse des Finanzkapitals) ablehnt. Bei diesen Überlegungen spielt die weiterlaufende Geldentwertung, das wachsende Loch in den (Sozial)Haushalten und die Entwicklung der realen Produktion unter den laufenden Finanzmarkttendenzen noch nicht einmal eine Rolle.
Dazu werden die Bürger vermehrt für den Schwachsinn ideologisch vernebelter Politiker aufkommen müssen – oder ist es mehr als Dummheit, ist es Absicht? So werden sie als Verbraucher (wer denn sonst) für den virtuellen Ertrag von Offshore-Windparks zu zahlen haben, der wegen fehlender Netzanschlüsse real nicht erbracht werden kann. Damit sichert die Regierung offensichtlich nicht das Gelingen der Energiewende, sondern nur den Weiterbetrieb entsprechender Hersteller. Sie „erhält Arbeitsplätze“ – was beim denkfaulen Wähler gut ankommt. Der nicht industrielle Stromverbraucher wird somit offen (nicht im Güterpreis versteckt) zur Rückversicherung für fahrlässige und kontraproduktive Geschäfte. Nötig wurde dieser Unsinn, weil das jüngste, versteckte Konjunkturpaket zu Lasten der Verbraucher („Energiewende“) ins Stocken gerät. Mit einer weiteren Umlage („Kohlepfennig“) in Höhe von mindestens 0,25 Cent/kWh bei Privathaushalten sollen künftige und schon eingetretene Verzögerungen beim Netzausbau finanziert werden.
Wiederum werden so nur Spekulationen abgesichert: Denn da die Finanzmärkte angesichts der jüngsten Unsicherheiten offensichtlich kein Geld mehr „gewinnversprechend“ aufnehmen können, sollen die Zocker, geschützt durch die Verbraucher-Versicherung, in scheinbar reale tatsächlich aber kontraproduktive Projekte investieren: Denn wenn diese bei Wind oder Sonne Strom erzeugen, müssen die Heizkraftwerke, die eine sichere Stromversorgung garantieren, Dampf ablassen und unrentabel arbeiten. Für die Erzeugung der gleichen Strommenge wird, statt der Investition in nur eine zuverlässige Anlage, die Investition in zwei Anlagen, eine zuverlässige und eine für den gelegentlichen Betrieb, angeordnet: zur Erhaltung von Arbeitsplätzen, deren Produkte sich nicht preismindernd auswirken sollen.
Um wenigstens Absicherung der Finanzspekulation durch die Bürger über die Staatsverschuldung nach den bisherigen Milliardenverlusten endlich eingrenzen zu können, hoffen viele auf das Votum der Richter in Karlsruhe gegen den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Doch es handelt sich hierbei nicht um eine „rechtliche“ sondern eine „systemische“ Frage. Sollte das Votum wie erhofft ausfallen, wird ein alternativer Weg eingeschlagen. Denkbar ist eine neue Verfassung, die den Weg zum ESM „rechtlich“ frei macht. Der §146 GG macht das möglich, und die Claqueure-Medien des Systems werden die Bevölkerung entsprechend medial zurichten, um die Einführung einer solchen Verfassung alternativlos hinzunehmen. Solange das System existiert, wird es über die Köpfe sowohl der Bevölkerung wie derer, die dadurch Herrschen, hinweg seinen Lauf nehmen. Nur Menschen können gesellschaftliche Systeme ändern und haben das in der Vergangenheit gelegentlich auch getan.
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5 Reaktionen zu “Das „System“”
Ich möchte mich für diesen wirklich excellenten Beitrag bedanken. Man wird zur Zeit von soviel Geschwafel sogenannter Experten zugedrönt, daß man ziemlich verwirrt und verdattert in die Welt hinausblickt. Deswegen ist diese stringente Analyse der Krise und des Systems wirklich hilfreich.
Übrigens ist ja glücklicherweise noch nicht die ganze Welt Systemkonform – Wladimir Putin hat auf dem APEC Gipfel erklärt, für Asien verstärkt die Kernenergie – Infrastruktur zu forcieren.
Das System hört solche Sachen sicher nicht gerne und ich wünsche Herrn Putin, daß sein Personenschutz nie versagen wird.
„Warum wird das System trotzdem … verteidigt? Der Grund ist relativ einfach zu erkennen: Der fiktive Traum von Freiheit. Es hat sich bisher noch keine Alternative finden lassen…“
Doch, gibt´s schon!: de.wikipedia.org/wiki/Libertarismus
und: de.wikipedia.org/wiki/Anarchokapitalismus
Den Libertarismus vertritt in DE nur 1 Partei: parteidervernunft.de
Dann lesen Sie etwas weiter, was ich zum Markt
und der Marktideologie der österreichischen Schule
gesagt habe.
12 Jahre gibt es den Spatz? Nun ja, vor 12 Jahren, genau am 26.6.2000 bin ich auch aufgewacht. Da biß der Hund eines kriminellen Türken in Hamburg ein Kind tot und alle Hundehalter dieser Rassen wurden wie im dem Rasenmäher gleich bestraft. Der Gleichheitsgrundsatz, die Unverletzbarkeit der Wohnung wurden ausgehebelt und die Beweislast umgekehrt. Eigentum wurde entwertet, das System entscheidet, wer sein Eigentum (den Hund) behalten darf. Als aufmerksamer Beobachter weiterer Geschehnisse habe ich diese Beschneidung von Bürgerrechten auf andere Bereiche sich ausdehnen gesehen. Die Methoden sind immer gleich, man fängt bei sogenannten Kampfhunden oder Kinderschändern an und knebelt bald alle. Die Medien sind Teil des Systems, sie lullen die Leute ein, nach dem Motto, halt sie dumm, ich mach sie arm.
Das System greift nun immer mehr zu Zwangsmaßnahmen, um sich zu erhalten, vielleicht machen das irgendwann die Massen nicht mehr mit? Im Moment verweigern sich zu wenige.
Wo liegt der Hund begraben???
Zitat:
…..Es hatte aufgrund der üblichen Prognose-Techniken errechnet, dass Arbeitnehmern, die heute € 2500.- im Monat verdienen und dies ohne Unterbrechungen (z.B. durch Arbeitslosigkeit) mindestens 35 Jahre lang, bei Erreichen des Rentenalters eine gesetzliche Rente von ganze € 688 zustünde……
Ich halte diese Zahlen für ausgemachten Quatsch. Unterstellt man ernsthaft, daß ein Arbeitnehmer heute 2500 Euro verdient und in 35 Jahren ebenso? und das er dann nach 35 Jahren 688 Euro Rente bekommt? Also Inflationsbereinigt 487,97 Euro (bei angenommenen 1% Kaufkraftschwund). Oder muss ich die Zahlen ganz anders interpretieren? Wer heute 2500€ verdient, der verdient in 35 Jahren (bei 1% Lohnsteigerung) 3525 € und bekommt 688 €???? Und fährt als Rentner satte 80,48% Verlust zum Arbeitslohn ein?? Das ist doch barer Unsinn. Oder vorsichtig ausgedrückt: das übersteigt meinen Horizont. Das ist Politik, daß versteh ich nicht.
MfG