Zu weit hergeholt
11. Juli 2015 von admin
Zwei Themen beschäftigen die deutsche Öffentlichkeit: Griechenland und die Flüchtlinge. Aber eigentlich geht es wieder nur um Geld. Die Deutschen interessiert nicht wirklich, was mit den Griechen geschieht, solange sie nicht dort gerade „Urlaub“ machen. Das eigentliche Problem ist in Griechenland wie in den USA, Deutschland, in Staaten wie England Frankreich etc.: Zu hohe Schulden. Man kann, drum herumreden, fordern, planen wie man will, an den Schulden kommt man nicht vorbei. Was sind Schulden? Ohne Schulden gibt es „im Westen“ kein Geld. Bezahlt jeder seine Schulden (was unmöglich ist) verschwindet das Geld. Schulden sind im Westen die Substanz von Geld, nicht Gold, nicht der Warenkorb oder sonstige „Werte“. Der Wert des Geldes sind die Zahlungsverpflichtungen anderer – deren Schuld also. Können sie nicht zahlen, ist das Geld weg – wenn man die Schuld nicht auf andere übertragen kann.
Laut Zusammenstellung der Credit Suisse betragen Griechenlands Gesamtschulden – der privaten Haushalte, Firmen und der Regierung – etwa 353% seines Brutto-Inlandsprodukts (BIP). Das ist viel. Doch die us-amerikanischen Schulden liegen bei 370%, sind also noch höher. Die Deutschen liegen mit noch 302% ihres BIPs etwas besser – aber nicht wesentlich. Großbritannien mit einer Gesamtschuld von 546 % seines BIP wird noch von Japan mit 646% Gesamtschulden im Verhältnis zum BIP überboten. Zum Vergleich haben Chinesen auch schon Schulden von 250% ihres BIP angehäuft.
Bei dieser Aufstellung fehlen die sogn. Derivate, Zahlungsverpflichtungen aufgrund von Wetten über Wertentwicklungen von Rohstoffen, Wertpapieren, Zahlungsfähigkeiten von Schuldnern udgl. Sie belaufen sich auf ein Vielfaches der regulären Schulden, werden aber nicht mehr in den offiziellen Büchern geführt. Entsprechende „Kontrakte“ werden meistens zwischen Finanzinstitutionen wie Banken, Fonds, Brokern udgl. geschlossen, oft gestückelt, verbrieft und an zahlungsfähige Kunden gegen hohe Gewinnversprechen weiterverkauft. Auch sie sind Geld wert, also Zahlungsverpflichtungen, denen aber so wenig verpfändbare „Werte“ gegenüber stehen wie den Konsumentenkrediten an Leute ohne Arbeit und Einkommen. Zusammengefasst ergibt das Zahlungsverpflichtungen und Forderungen in großer Menge, denen kaum noch werthaltige Substanz (Güter und Arbeitsleistung) gegenübersteht.
Was die Credit Suisse nicht aufzählt sind die Guthaben, die Forderungen der Kreditgeber, die den Schulden entsprechen. Darüber ist wenig bekannt. Im Fall Griechenland waren das – wie wohl in anderen Ländern auch – vorwiegen sogenannte Oligarchen (Reeder, Besitzer von Erdölraffinerien, Besitzer von Telekomfirmen, Medienmagnaten oder Bankiers und andere Multimilliardäre). Diese verstehen sich kaum noch als Griechen, Deutsche, Amerikaner etc. sondern als Mitglieder einer internationalen Higher Society. Das sind Leute, die mehr oder weniger indirekt über Finanzinstitutionen „einer Bevölkerung viel zu viel Kredite gewähren, die nach den Vergaberichtlinien nicht zur Produktion von (Gegen-)Werten benutzt wurden, sondern letztlich dazu, die Bevölkerung über deren eigene Staatsorgane zu zwingen, durch den Verkauf ihrer privaten und staatlichen Vermögenswerte, oder über Lohnsenkungen, Rentenkürzungen, Sparzwangsmaßnahmen, Abbau sozialer Dienstleistungen (kurz: Austerität) dafür zu bezahlen. Die Finanzinstitute sind dabei „nur“ die Vermittler im Auftrag ihrer eigentlichen Großeigentümer. Was bleibt sind unbezahlbare Schulden.
Was ist der Sinn, unbezahlbare also wertlose Schulden anzuhäufen? Nun, was anderes als Macht? Was ist die „Werthaltigkeit“ eines Kredits? Ist es nicht die Gewalt, die den Kreditnehmer zum Einhalten seiner Zahlungsverpflichtung nötigt. Die Gewalt versteckt sich gerne hinter Treu und Glauben, Ehre des Geschäftsmannes etc. Die Realität (die viele verkennen) erfuhren zum ersten Mal im großen Stil die Bankhäuser Bardi und Peruzzi 1345 (die Rothschilds und Rockefeller von damals), als ihnen der britische König Eduard III, der französische Philippe de Valois und Robert von Neapel die Zahlungen auf Schulden verweigerten. Das taten sie erst, als sie nicht mehr anders konnten. Die Eduards (I – III) z.B. hatten in den Jahrzehnten zuvor alles unternommen, um aus den Untertanen herauszuholen, was er den Bardi und Peruzzi schuldete, um kreditwürdig zu bleiben. Als 1337 der 100-jährige Krieg zwischen England und Frankreich ausbrach, war die Kasse leer. Die Bankiers, die noch zu fordern wagten, wurden wegen „malpractices“ (übeltun) ohne weitere Erklärung eingelocht (allerdings mit Vorzugsbehandlung und Begnadigung nach der Verzichterklärung). Aufgrund dieser aufgekündigten „Gläubigkeit“ (und nicht einer christlichen etc.) erfasste ganz Europa plötzlich eine Kredit-Krise. Wirtschaftliche Tätigkeit unterblieb. Hungersnöte, Aufständen und schließlich eine Ökokatastrophe (die Pest von 1348 unter den Hungernden, die dann auch vor den Satten nicht Halt machte) brachen aus. Das Ergebnis war die Initialzündung für die spätere „Demokratie“. Denn die Bankiers wollten sich nicht mehr allein auf Könige als Kreditgaranten verlassen, sondern installierten zu diesem Zweck über die folgenden Jahrhunderte Bürgerblocks (Parteien), die sie am Geldbändel führten. Mit ihnen ließ sich Druck auf die Zwingherrn (den Staatsapparat) ausüben. Nebenbei bemerkt. Die Haupt Geldeinnahme Englands war um 1340 noch der Export von Wolle an die Textilzentren in Oberitalien und in den Niederlanden. Das neu erstarkte Parteibürgertum half als Juristen dem britischen Adel, sich das Gemeindeland der Bauern anzueignen und in Schafweiden umzuwandeln. Damit setzte das Bauernlegen und „The Great Transformation“ des Christlichen Abendlandes in das ein, was nun als „westliche Werte“ gefeiert wird.
Die Umwandlung ist ein langer durch die Industrialisierung und die damit verbundene Produktivitätssteigerung verkomplizierter Vorgang. Dieser kommt heute, weil Investitionen in die Güterproduktion wegen der mit Güter-Angebot und zahlungsfähiger Nachfrage verbundenen Preissenkungen nicht mehr rentieren, an sein Ende. Das Ende ist, dass mit aller Gewalt nichts mehr aus der Bevölkerung herauszupressen ist – wenn da nicht noch ein kleiner Spielraum wäre, die Umverteilung der Schulden auf andere, bei denen noch etwas zu holen ist. Ehe wir auf Griechenland als Symbol für Europa etwas eingehen noch eine (für gebildete Dummies) zu weit hergeholte Erklärung.
Das Desaster begann mit dem Aufstieg „des Westens“ nach dem eigentlichen Ende des „Christlichen Abendlandes“ schon im 12. Jahrhundert. Damals bildeten sich aufgrund des Wollhandels und des Fernhandels zur Luxusgüterbeschaffung für den Adel, der auf den Kreuzzügen den orientalischen Luxus kennengelernt hatte, wieder Bankhäuser (nachdem sie während der Völkerwanderungszeit ausgestorben waren). Sie sammelten (im Verhältnis zu den Mitmenschen) riesige Geldbestände (Forderungen an Adelige) an. In Ermangelung weiterer Anlagemöglichkeiten liehen sie adeligen Landesherren wechselseitig Geld, um ihre Nachbarn zu bekriegen. Die Zinsen waren so berechnet, dass der Sieger auch für die Kredite des Besiegten zahlte und so das Geschäft krisenfest machte. Als die Zinsforderungen der sogn. Fehden, die bald die noch geringe Wertschöpfung der Untertanen überstieg (zu Beginn des hundertjährigen Kriegs war es soweit) setzte ein langdauernder Zerfallsprozess ein („die kaiserlose, die schreckliche Zeit“ hatte mit fehlenden Kaisern wenig zu tun, sondern mit den Fehden). Der Zerfall fand im Dreißigjährigen Krieg einen ersten Höhepunkt. Die Entwicklung wurde zeitweise unterbrochen, als die Finanzgewaltigen durch Investitionen in Produktionsbetriebe (wegen der Waffenentwicklung) ein zunächst einträgliches Betätigungsfeld fanden. Abgesehen vom Seiteneffekt zugunsten der Menschen (Anhebung der Versorgung) diente die Industrialisierung dem gleichen machtpolitischen Zweck wie die Kredite für die mittelalterlichen Fehden, nur im größeren Stil (oder wie die von Adam Smith beschriebene Vermögenskonzentration durch „den Markt“). Es ging um die wechselseitige Hochrüstung der Staaten (mit Menschen und Material) in den nun imperialistisch ausgeweiteten Fehden oder Kriegen zur Erzeugung von Abhängigkeiten und Unterordnung durch Zahlungsverpflichtung.
Es scheint, dass wir jetzt in das „Endgame“ dieses „Spiels“ eintreten, weil sich nur noch zwei Blöcke gegenüberstehen: Der monopolare Westen der Hochfinanz gegen den multipolaren Block derer, die nicht in diesen Block vereinnahmt werden wollen. Die Vorbereitung des Endkampfs dieser Blöcke zur Erhaltung und Absicherung des im Kult des Dollartums vereinigten „Westens“ deutet sich, nach den vielen Geplänkeln nach den Weltkriegen spätestens mit dem Putsch in der Ukraine unübersehbar an. Ob es dazu noch kommen wird ist ungewiss, weil „die Menschen“ wider Erwarten aus ihrer Verblendung durch das scheinbar Naheliegende aufwachen oder die Multipolaren ebenso wider Erwarten sich als stärker erweisen könnten. Es kommt dabei auch auf Dich an. (Neutrale gibt es nicht und Pessimismus ist ein anderes Wort für Bequemlichkeit)
Und Griechenland? Es veranschaulicht das dem „Westen“ insgesamt zugrunde liegende und weltweit verbreitete Krankheitssymptom. Es wird im Fall Griechenland nicht mehr durch produktive Investitionen getrübt und verwaschen. Die Griechen spüren das Verfahren des Systems, weil sie – wie einst Eduard III – die Schulden des öffentlichen Sektors nicht mehr bedienen können. Sie können sie aus dem gleichen Grund nicht bezahlen, aus dem die Schulden ursprünglich gemacht wurden. Ihre Regierungen haben erst (ähnlich „wie Eduard“) vorgetäuscht, sich an den Vereinbarungen über die Kredit-Richtlinien zum Eintritt in die Eurozone zu orientieren. Dann tat sie so, als könnten sie sich den ihnen mit geliehenem Geld angetragenen Lebensstil leisten. Dann gaben sie vor, das Geld zurückzahlen zu wollen, das sie sich geliehen hatten, um Zahlungen für die Schulden zu leisten, die sie sich nicht leisten konnten. Das Ganze hat sich zu einem Schuldenberg angehäuft, der unbezahlbar geworden ist. Dann haben die Europäer die Garantie für den Schuldenberg übernommen, weil die Griechen versprochen hatten ihre Schulden zurückzuzahlen, obwohl jeder wusste, dass dies nicht möglich war (Fass mal einem Nackten in die Tasche!). Die Europäer prolongierten das Zahlungsspektakel bereits mit 340 Mrd. € neuer Schulden und sind – auf Befehl – bereit, weitere 70 Mrd. nachzuschieben. Die Schulden sind damit offiziell auf die Bürger Europas übergegangen. Den Griechen, die nicht zahlen können, blieben zum Schein die Zahlungsforderungen, die aber nur die europäischen Bürger „beruhigen“ sollen. Die Milliarden, die noch in den Büchern stehen, sind bereits längst verspielt. Man kauft sich mit den Milliarden eine kurzfristige Illusion und möglicherweise eine Pole-Position im unausweichlichen Zusammenbruch dieses Spiels, wenn ein Land nach dem anderen zusammenbricht und ein Derivate-Kontrakt nach dem anderen platzt. In diesen Vorgang reiht sich dann möglicherweise das Endgame mit der nackten Gewalt, die das Kreditsystem nur verdeckt.
Vielleicht ist in dem Vorgang nicht uninteressant, dass das US-Präsidialamt am 7.7. bestätigt hat, Barack Obama habe der Bundeskanzlerin Merkel telefonisch mitgeteilt, dass eine Lösung für Griechenland (auf Deutsch: die Übernahme der Schulden oder Zahlungsverpflichtungen) gefunden werden müsse – natürlich, denn Schulden haben in erster Linie mit Macht und Kredite nur gelegentlich mit produktiven Investitionen zu tun. Der Verbleib Griechenlands in der Eurozone ist für die Amerikaner wegen der geopolitischen Lage im Endgame wichtig. Griechenland hat pro Kopf den höchsten Militär-Haushalt aller europäischen Nato-Staaten und ist daher ein wichtiger Bündnispartner.
Sie wundern sich: Das geschieht, trotz einer „linken“ Syriza-Regierung. Ich würde sagen, gerade wegen einer solchen. Ihre anerkannten Medien haben Ihnen verschwiegen, dass in Griechenland ein einziges Unternehmen die Wahl-Prognosen durchführt, die Stimmen auszählt und das Endergebnis verkündet: der IT-Dienstleister Singular Logic. Die Firma stellt im Auftrag der griechischen Regierung und finanziert von der EU die Software, die Hardware und die Human Ressorces für alles, was in Griechenland mit politischen Wahlen zu tun hat. Die Firma gehört nach einem anderen US-Investor spätestens seit 2014 KKR Global Institute, mit dem früheren CIA-Chef David Petraeus als Vorstand (Chairman). Sie ist wiederum eng mit Goldman Sachs verbunden.
Und dann war da bis vor kurzem in Griechenland als Finanzminister der „linke“ Ökonom Varoufakis. Der Mann begann als Videospiele-Entwickler für die Microsoft-Ablegerfirma Valve Corporation in den USA, studierte an den britischen Universitäten Essex und East Anglia, lehrte in Cambridge, wurde australischer Staatsbürger, kehrte als solcher 2000 nach Griechenland zurück, um kurzfristig an der Universität Athen zu lehren. Von 2013 bis zur Ernennung zum Finanzminister hatte er eine Lehrstelle an der University of Texas und im Brookings Institution, der Denkfabrik des Washingtoner Establishments. Nebenbei beriet er schon Ministerpräsident Giorgos Papandreou und die PASOK-Partei im gekonnten Schuldenmachen und wie man mit Austeritäts-Forderungen der EU und EZB umgeht. Varoufakis stand dem früheren französischen Premierminister Michel Rocard nahe, der ganz vorne mit der EZB über die Köpfe der Menschen hinweg die nationale Souveränität der Länder der Europäischen Union auszuhebeln half. Auf die Griechen darf geschimpft werden, um von den fernerliegenden Ambitionen der Machthaber abzulenken. Ihre Medien besorgen das für Sie.
Ach, da war noch etwas mit den Flüchtlingen! Warum schimpft man auf die, statt auf diejenige, die die Bevölkerung durch Krieg und Terror zur Flucht treiben. Solche Kriege hat die Bundesregierung mit ihrer „Niebelungen“-treuen Unterstützung für die Betreiber der Regime Changes in Afghanistan, Irak, Ägypten, Tunesien, Libyen und jetzt in Syrien mitgetragen. Sie sieht bis heute über die Förderung jihadistischer Organisationen (Al Qaida, IS, etc., die übrigens neuerdings in der Ukarine und im Süden Russland und im Westen Chinas eingesetzt werden) durch sogenannte enge Verbündete hinweg. Sogar am Embargo gegen Syrien hält Berlin bis heute fest, obwohl dieses die Lebensbedingungen für die Bevölkerung unerträglich macht und sie zur Flucht treibt. Dies geschieht seit Jahren, aber man regt sich über die Vertriebenen auf und nicht über die Vertreiber. Ihre Medien besorgen das für Sie, wenn auch indirekt. Direkt sollen Sie natürlich gutmenschlich für die Flüchtlinge aufkommen.
Wer auf dem Naheliegenden abfährt, wird auf die Schnauze fallen – selbstverschuldet aber intendiert.
2 Reaktionen zu “Zu weit hergeholt”
Gelungener Spatz
Ein außergewöhnlich erhellender Vortrag, bei dem einem die Spucke wegbleibt…..