Wer drauf reinfällt (nächster Spatz 15.8.)
1. August 2015 von admin
Wer öffnet schon im Laden eine Konservendose, um hineinzuschauen, ob da auch drinnen ist, was draufsteht? Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind im Leben unabdingbar. Wir müssen vertrauen, weil wir das meiste, von dem wir abhängen, nicht überprüfen können. Wie wichtig das ist, fällt uns meistens erst dann auf, wenn es missbraucht worden ist. Ist Vertrauen erst einmal enttäuscht worden, stellt es sich nur sehr schwer wieder her. Die mit 5000 Mitarbeitern in 65 Ländern größte PR Firma Edelman (Aber bitte nicht vergessen: Auf dem Gebiet wird man nur der „Größte“, wenn man sich sehr starken Verbündeten als der Nützlichste erwiesen hat!) bringt jährlich einen „Vertrauens-Barometer“ heraus. Danach sank das Vertrauen der Deutschen in Unternehmen und ihrer Vorstände allgemein von 57 % im Jahr 2014 auf nur noch 45 % 2015. Auch angebliche Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Medien erlitten Vertrauensverluste um zehn bzw. neun Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings genießen danach Journalisten – zu Unrecht wie mir scheint – bei 45 Prozent der Menschen Vertrauen, während gewählte Offizielle nur für 33 % und Prominente für 22 % glaubwürdig sind (Edelman 2015). Dagegen stieg die Glaubwürdigkeit der deutschen Regierung von 49 auf 50% an. Wem außer den Medien sie das wohl verdankt? Mit Einsicht hat das alles Nichts zu tun wohl aber mit dem Vertrauen in die „traditionellen Medien“, das in Deutschland immer noch bei 66 % der Bevölkerung zu finden sein soll, während den privaten Medien nur 30% glauben. Doch weltweit sieht Edelmann das Vertrauen auf einem Allzeittief. Dies jedenfalls dürfte stimmen und hat Gründe.
Gerade in den letzten Tagen hat die Kriegsgefahr durch die Entwicklung im Nahen Osten dadurch drastisch zugenommen, dass die Türkei im Einverständnis mit den USA die friedliche Koexistenz mit den Kurden im Land aufgekündigt hat und unter dem Vorwand, die IS zu bekämpfen, gemeinsam mit den USA Ziele in Syrien bombardiert und wie zuletzt in Libyen eine Flugverbotszone über das Land verhängt hat. Zu diesem Zweck stellt die Türkei den USA Flugplätze zur Verfügung stellt, was sie im Krieg gegen den Irak noch verweigert hatte. Der US-Lehensmann in England, David Cameron, lässt im Unterhaus die Erlaubnis zur Bombardierung in Syrien absegnen. Die Bundeswehr beteiligt sich dort noch nicht, und operiert stattdessen im afrikanischen Staat Mali, damit „Menschen nicht mehr fliehen müssen vor Gewalt und Hoffnungslosigkeit“ wie Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen bei ihrem Besuch in der malischen Hauptstadt Bamako behauptet. Sie benutzt den wachsenden Widerstand gegen die Überschwemmung Deutschlands mit angeblichen Flüchtlingen, um Einsatzfreude im nach US-Auffassung noch immer zu kriegsmüden Deutschland zu erzeugen. Sind es nicht die Interventionen des Westens seit 1980, beginnend mit der „Verteidigung unsere Freiheit am Hindukusch“, welche gezielt die aktuelle Flüchtlingskrise in der EU losgetreten haben.
Anlässlich der Eskalation im Nahen Osten hat nun die Hackergruppe „Cyber Berkut“, die sich (vielleicht zur Tarnung) der Ukraine zuordnet, ein Video ins Netz gestellt. Es zeigt, wie die spektakuläre „Hinrichtung“ des US-Journalist James Foley durch die IS (oder ISIS/ISIL), die damals als Video durch die Weltmedien ging und den US-Militäreinsatz gegen die Terrorgruppe IS in Syrien propagandistisch vorbereiten sollte, in einem gut ausgerüsteten Studio vor einer Wüsten-Kulisse gedreht wurde. Die geplante US-Intervention in Syrien zum Sturz von Präsident Assad, die durch die geschickte Diplomatie des russischen Präsidenten Putin zunächst abgewendet wurde, soll nun der vorgetäuschte Kampf gegen die IS zum Abschluss bringen. Die Hacker schrieben laut http://www.techworm.net/2015/07/cyberberkut-release-a-video-from-senator-mccains-laptop-which-alleges-is-executions-are-stage-managed.html zu dem Video: „Wir von Cyber Berkut erhielten die Datei, deren Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, zu unserer Verfügung, Lieber Senator McCain! Wir empfehlen Ihnen, bei Ihrer nächsten Auslandsreise und speziell auf dem Gebiet der Ukraine keine vertraulichen Dokumente mitzunehmen. Auf einem der Geräte Ihrer Kollegen haben wir eine Menge interessanter Dinge gefunden. Wir haben beschlossen, einiges mitzunehmen: Dieses Video sollte in den Besitz der internationalen Gemeinschaft gelangen!…“ So viel zur Glaubwürdigkeit derer, die das Hinrichtungs-Video in Auftrag gegeben und bezahlt hatten und derer, die es trotz erkennbarer Mängel weltweit propagiert haben. Das Pentagon trainiert inzwischen eine neue Gruppe „moderater“ Militanten, die Takfiri Terroristen für den Kampf in Syrien, teilte US Central Command Sprecher Col. Pat Ryder am 25.7. Press TV mit, wollte dazu aber keine näheren Angaben machen.
Auch der Kurs der Bundeskanzlerin in Sachen Euro-Rettung verliert an Glaubwürdigkeit. Griechenland steht immer noch und trotz des dritten, 86 Mrd. Euro schweren „Hilfspaket“ vor dem finanziellen Kollaps, die Briten arbeiten am Austritts-Referendum, die Finnen rebellieren wegen den Milliarden zur vorgetäuschten „Rettung“ der Hellenen (gerettet werden nicht sie, sondern deren fehlspekulierende Gläubiger), Ungarn will in Sachen Flüchtlinge eigene Wege gehen, großte Teile Spaniens denken über „Selbständigkeit“ nach…: Die Europäische Union war entweder politische Stümperei oder wohl eher ein politisches Falschspiel. Nun bricht sogar in der Partei der Kanzlerin Widerstand auf: Wolfgang Bosbach, langjähriger CDU-Abgeordneter, hat am 23.7. angekündigt, aus Protest gegen die Verabschiedung des dritten Griechenland-Hilfspaketes im September (wenn Vorstandsnachwahlen möglich sind) vom Vorsitz des Bundestagsinnenausschuss zurückzutreten. Auf die Bezeichnung, er sei ein „Euro-Rebell“, antwortete er überzeugend: „Früher waren Rebellen die Anführer revolutionärer Bewegungen. Heute gilt man schon als Rebell, wenn man bei seiner Meinung bleibt.“ (http://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_74811994/wolfgang-bosbach-wagt-halben-rueckzug-euro-rebell-will-keiner-sein.html) Am 24.7 haben 439 Abgeordnete dafür gestimmt, weitere rund 86 Milliarden Euro Steuergelder (wahrscheinlich werden es eher mehr) im griechischen Schuldensumpf zu versenken. 40 Abgeordnete enthielten sich, 119 stimmten mit Nein. Zu den Nein-Stimmen gehörten auch 60 CDU/CSU-Abgeordnete, dazu die Linksfraktion und sogar Peer Steinbrück (SPD).
Ähnlich deutsch- und EU-feindlich ist die Sanktionen-Politik der Kanzlerin. Das Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) will errechnet haben, dass in der EU wegen der Russland-Sanktionen (wegen der Abstimmungsergebnisse auf der Krim nach dem Putsch in Kiew – westliche Wahlbeobachter hatten die Wahlergebnisse bestätigt) 2,5 Millionen Arbeitsplätze gestrichen werden müssen und die EU-Wirtschaft Verluste von insgesamt 109 Milliarden Euro erleidet. In Deutschland sollen rund 500 000 Menschen ihre Arbeit verlieren, während die Wirtschaft hier voraussichtlich 29,9 Milliarden Euro einbüßen werde. In Polen und Italien sollen etwa 302.000 bzw. 300.000 Arbeitsplätze wegfallen.
Nicht berücksichtigt werden dabei die langfristigen Folgen dieser Politik. Folker Hellmeyer, der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank äußerte sich dazu am 24.07.15 in Deutsche Wirtschaftsnachrichten: „Der Schaden ist viel umfassender, als die Statistik sagt. Beginnen wir bei der Ökonomie und den bisher aufgelaufenen Schäden. Der Blick auf den Rückgang der deutschen Exporte per 2014 um 18% oder in den ersten beiden Monaten 2015 um 34% im Jahresvergleich erfasst nur einen Primärausschnitt. Es gibt Sekundäreffekte. Europäische Länder mit starkem Russlandgeschäft, unter anderem Finnland und Österreich, leiden konjunkturell massiv. Diese Länder ordern in der Folge auch weniger in Deutschland. Mehr noch erwägen europäische Großkonzerne zur Umgehung der Sanktionen, Produktionsstätten auf höchster Effizienzebene in Russland zu erstellen. Damit verlieren wir hier potentiellen Kapitalstock, der die Grundlage unseres Wohlstands ist. Russland gewinnt diesen Kapitalstock. Deutschland und die EU haben gegenüber Russland ihre ökonomische Zuverlässigkeit zur Disposition gestellt. Das Vertrauensverhältnis ist durch Deutschland und die EU zerrüttet. … Siemens ist aus diesem Grunde bei einem Großprojekt rausgeflogen. Alstom hat den Auftrag für die Bahnstrecke Moskau/Peking verloren. Die Tatsache, dass wichtige Posten in der ukrainischen Administration von externen Kräften mit extremer Nähe zu den USA und deren Institutionen eingenommen wurden, unterstreicht den geopolitischen Charakter des Coups. …Für mich ist der Konflikt schon entschieden. Die Achse Moskau–Peking–BRIC gewinnt. Dort hat man vom Westen die Nase voll. 1990 hatten diese Länder einen Anteil von circa 25% an der Weltwirtschaftsleistung. Heute stehen sie für 56% der Weltwirtschaftsleistung und für 85% der Weltbevölkerung. Sie kontrollieren circa 70% der Weltdevisenreserven. Sie wachsen pro Jahr im Durchschnitt mit 4% – 5%. Da die USA nicht bereit waren, internationale Macht zu teilen, baut man im Sektor der aufstrebenden Länder ein eigenes Finanzsystem auf. Dort liegt die Zukunft … Die EU wird derzeit in den Konflikt, den die USA verursachte, weil sie keine Macht teilen will, hineingezogen und damit in ihren eigenen Entwicklungsmöglichkeiten sterilisiert. Je länger wir dieser Politik in der EU folgen, desto höher der Preis, desto weniger wird man uns als Gesprächspartner ernst nehmen.“
Dem wäre kaum etwas hinzuzufügen, hätte nicht Putin am 28.7. laut RT Deutsch gesagt: „Es ist nicht unsere Aufgabe die Außenpolitik europäischer Länder zu bewerten. Aber man muss zugeben, dass es nicht besonders interessant für uns ist, wenn wir unsere Beziehungen zu unseren europäischen Partnern in Washington diskutieren müssen“. Interessant daran ist, dass Putin damit nur eine Aussage John Kornblum, des ehemaligen US-Botschafters in der Sendung von Günther Jauch vom 28.2.15 wiederholt: „Es ist wunderbar, wenn Europa verhandelt, aber im Endeffekt liegt die Macht in Washington und Putin weiß das ganz genau.“ Nur die Wähler wissen und glauben es nicht, weil sie wähnen, in einer von ihrer Stimme bestimmten Demokratie zu leben.
Mit dieser Illusion räumt – was die USA betrifft – eine Studie der Universität Princeton auf: „Testing Theories of American Politics: Elites, Interest Groups, and Average Citizens in: Perspectives on Politics der American Political Science Association, 2014, S. 564ff doi:10.1017/S1537592714001595. Sie untersuchte, in wessen Interessen die amerikanischen Politiker tatsächlich handeln. Die Autoren Martin Gilens und Benjamin I. Page kommen darin zu dem Schluss: „Das zentrale Ergebnis unserer Forschung ist, dass die Wirtschafts-Eliten und organisierte Gruppen, die Wirtschafts-Interessen vertreten, einen substantiellen unabhängigen Einfluss auf die Politik der US-Regierung haben. Gruppen, die die Interessen der Masse der Amerikaner vertreten sowie einzelne, durchschnittliche Bürger, haben dagegen wenig bis gar keinen Einfluss auf die Politik.“ Nicht anders sieht es bei uns aus, nur dass es sich hier nicht um europäische sondern ebenfalls um amerikanische Wirtschaftsinteressen handelt: Wer zahlt, schafft an!
Im Grunde ist die Entwicklung zur Wirtschaftsdiktatur der Demokratien folgerichtig. Carrol Quigley war in seiner umfassenden Studie Tragik und Hoffnung (1966, demnächst auf Deutsch) zu der Einsicht gekommen, dass die Herrschaftsform eine Funktion der militärischen Machtmittelverteilung ist. Wenn die breite Bevölkerung über Machtmittel verfügt, denen die Regierenden nichts wirksameres entgegenzusetzen, wie Anfang des 19. Jahrhunderts, sich jeder Bürger ebenso ein Gewehr oder eine Pistole leisten konnte, mit dem die Regierung ihre Soldaten ausrüstete, kam es zu Massenheeren und Demokratie. Heute kann dagegen kein Bürger mehr gegen die Kampfspezialisten mit der Bewaffnung der Regierung antreten. Hinzu kommen das ungeheure Überwachungspotential und die Meinungsbeeinflussung durch die Apparaturen der Regierenden. Letzteres ist soweit gediehen, dass die in der breiten Masse jeweils vorherrschende Meinung lediglich eine Kostenfrage ist. Daher haben wir heute, jedenfalls im überlokalen Bereich, die Farce der Stimmkreuzchen-Demokratie.
Solange das der Fall ist und noch „gewählt“ wird, wird auch das unglaubliche Theater vor den Kulissen der Macht weitergespielt. Doch formen sich Alternativen zur Meinungsmache, sorgen Hacker und Whistleblower für die Aufdeckung der Lügen der Regierenden und gibt ihnen die wachsende Erfahrung der Bürger allmählich Recht.
3 Reaktionen zu “Wer drauf reinfällt (nächster Spatz 15.8.)”
Zitat:
„„Die Illusion der Freiheit wird solange fortgesetzt wie es profitabel ist,
die Illusion weiter fortzusetzen. An dem Punkt, an dem die Illusion
zu kostspielig wird um sie weiter fortzusetzen, wird das Bühnenbild
weggenommen, die Vorhänge zurückgezogen, Tische und Stühle
weggeräumt und du wirst die kahle Wand auf der Rückseite des
Theaters sehen.“ – Frank Zappa –
Vielen Dank,
Selten so eine grandiose und kurze Darstellung der Zusammenhänge gelesen.
Freue mich auf den nächste Spatz
Danke für den wie immer sehr guten Journalismus. Und schönen, erholsamen Urlaub. Schalten Sie mal ab von der Farce, die Sie uns hier regelmäßig näher bringen.