„Wollen wir frei leben oder in Ketten?“ (Obama)
13. Juli 2013 von admin
An Edward Snowden kommt man zur Zeit in Deutschland kaum vorbei. Eigentlich hat jeder, der es wollte, seine Botschaft schon gekannt. Was er aufdeckt, ist „geltendes Recht“. Man konnte z.B. schon im Jahr der Wiedervereinigung im Februar (8) 1989 im Spiegel lesen: „Die National Security Agency (NSA) lauscht weltweit und rund um die Uhr, ganz besonders in der Bundesrepublik. Von alliierten Sonderrechten ermächtigt und durch Gesetze geschützt, von […] elektronischen Schutzschilden umhüllt, hat sich die NSA zu einer Monsterorganisation entwickelt, die in einem politischen Vakuum weitgehend nach eigenem Gutdünken operiert.“ In dem Artikel war mehr zu lesen. Doch zuvor sei an zwei vergessene Allgemeinplätze erinnert:1. Herrschaft basiert auf der Angst der Bürger vor fremden (mit unter auch fiktiven) Ereignissen (z.B. Terrorismus, Irans Atombomben etc.), 2. Tyrannei basiert auf der Angst der Bürger vor der geglaubten Allmacht ihres Tyrannen.
Kurz: Snowden erzählte uns nichts Neues. Neu ist nur, dass das, was er erzählt, alle anerkannten Medien aufgreifen und so laut wie möglich herumposaunen. Früher hatte man das, was sogenannte „wistleblower“ diesbezüglich anprangerten als Verschwörungstheorie meist abgetan und lächerlich gemacht. Jetzt wurde es zum Medienereignis. Das ist wirklich neu. Dabei ist für die meisten Menschen der „Abhör-Skandal“ weitgehend belanglos. Sie vertreten die von den Medien gewünschte Meinung, und regen sich demnach erst neuerdings über den Skandal auf. Im Übrigen darf sie jeder beliebig ausspionieren.
Das Ausspionieren erfolgt kommerziell und daher völlig legal. Es gibt Firmen, die bis ins einzelne gehende Käuferprofile erstellen und Werbetreibenden auf dem Markt zum Kauf anbieten. Auch Google verdient damit Geld und das 2. Netz, Facebook etc., wurde eigens zu diesem Zweck erfunden und eingeführt. Die Ausspionierten genießen als Konsumenten sogar einen gewissen Nutzen. Sie bekommen genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene, neueste Angebote und ersparen sich damit sie nicht betreffende Werbung und vor allem Überlegungen, was sie sich noch wünschen könnten. Es wird für sie vorgesorgt.
Jeder denkfähigen Bürger weiß, dass seine Bank-Konten, Einkäufe über Kreditkarte oder Online, die Nutzungsgewohnheiten im Internet über Google, Apple, Facebook etc. und dazu alle Microsoft Daten (wenn sein Computer am Netz hängt)aber auch seine Reise und Verkehrsgewohnheiten über Handy und die eingebauten Codes seines in jüngerer Zeit erworbenen Autos gesammelt, aufbewahrt und nahezu automatisch zu einem Persönlichkeitsbild verarbeitet werden. Erwünscht ist, dass er aufgrund dieser Information in so etwas wie Paranoia gerät und sich keinen unzulässigen (am besten gar keinen) eigenen Gedanken mehr erlaubt.
Noch etwas ist neu: Die Politiker Europas sind wütend auf den „Abhör-Skandal“. Das mag als Wahlkampfgeste gespielt sein. Früher war das anders. Da gab man sich impotent und der Wähler wusste, dass das stimmte. Laut Der Spiegel waren die Politiker sogar froh über die Abhörarbeit der Alliierten: „Hermann Höcherl (CSU), Innenminister unter Adenauer, wusste um diese Praktiken: ‚Abhören? Wir, die Deutschen?‘ ‚Das hatten wir gar nicht nötig‘, so Höcherl 1989, „wenn wir etwas wissen wollten, haben wir das den Amerikanern gesagt“ und die haben dann die Informationen geliefert – oder, wenn es nicht opportun war, auch nicht. Man brauchte sich nicht selbst bemühen. Das hat sich offenbar geändert.
„Was Präsidenten oder Minister in Kabinettssitzungen reden, was in Königshäusern oder auf Vorstandsetagen gesprochen wird, ob Generale saufen oder Botschafter fremdgehen […]: Die Vertraulichkeit des Wortes ist aufgehoben, die Privatsphäre verletzt. Der US-Geheimdienst hört überall und jeden ab“ und nutzt es auf seine Weise, politisch, geschäftlich, erpresserisch, kriminell – ganz nach Belieben. Denn das geheime Nachrichtenwesen unterliegt nirgendwo wirklich einer Kontrolle. Deshalb ist es ja „geheim“. Was von den Politikern jetzt als „riesen Sauerei“ (z.B. von Martin Schulz, Präsident des EU-Parlament) beschimpft wird, hat einen Grund: Enthüllung von Fehltritten kann Spitzenpolitikern das Amt kosten (wie z.B. erst kürzlich dem früheren IWF-Chef und aussichtsreichen Präsidentschaftskandidat Frankreichs, Dominique Strauss-Kahn oder jüngst Luxemburgs Jean Claude Juncker). Frau Merkel hat diese Gefahr sofort begriffen. Es geht schließlich auch um die Wiederwahl, und die wird via Medien (je nach politischem Geschmack: auch oder vor allem) in Washington entschieden. Deshalb dürfe man über die Affäre nicht vergessen, beteuerte sie „dass Amerika unser (oder ‚ihr‘) treuester Verbündeter in all den Jahrzehnten war und ist.“ (Handelblatt 10.7.)
Wissen ist Macht, sagt das Sprichwort. Und meint vor allem das, was man selbst über andere weiß. Aber es gilt auch umgekehrt. So haben „Große Brüder“ ein lebhaftes Interesse daran, dass man ihre Macht gehörig und möglichst übertrieben zu wissen bekommt. Nicht nur „Politiker“ sollen wissen, dass die Brüder alles über sie wissen. Um sie gefügig zu halten, sollten auch ihr Wähler wissen, dass die „da ganz oben“ alles über jeden Einzelnen von Ihnen (vor allem das ‚Geheime‘) wissen. Das fördert die Solidarität zwischen Politikern und Wählern. Denn wenn jederzeit Verborgenes auffliegen kann, empfiehlt es sich im je eigenen Interesse, „nicht zu vergessen, dass …“ Es soll daher auch in Deutschland Zeitgenossen geben, die lauthals nichts dagegen hätten, wenn „der Verräter“ Snowden nach Guantanamo verfrachtet würde, wo er hingehöre, und zwar nicht etwa weil man ihn als Droh-Instrument der Herren verdächtigt, sondern weil er unanständigerweise die demokratische Öffentlichkeit über das informiert hat, was die Großen Brüder hinter ihrem Rücken gegen sie treiben. Demokratie ist eben eine schwierige Regierungsform. Eingestandene Tyrannen haben es da leichter.
Es gibt in Deutschland einen weiteren Grund für die Entrüstung der „Politiker“. In der Abhöraffäre erscheint Deutschland als „Feindland“ der USA. Seit 1951 haben die Westmächte offiziell den Kriegszustand mit Deutschland für beendet und einen Waffenstillstand mit dem Land erklärt. Dieses völkerrechtliche Verhältnis zwischen dem Westen und Deutschland besteht offiziell und formal seit 62 Jahren fort, weil seit Beendigung des Kriegszustands bis heute noch kein Friedensvertrag geschlossen worden ist. Damit ist „Feindland“ und nicht „Verbündeter“ die genaue und allem zu Grunde liegende Beschreibung des bestehenden völkerrechtlichen Zustands. Das Gleiche gilt übrigens mit Bezug auf die „Feindstaatenklausel“ der UNO. Die von den Medien hier und anderswo gepflegte anders geartete Wahrnehmung des Verhältnisses ist eine andere. Snowden „ent-täuschte“ die sich selbst täuschende Wahrnehmung unserer Öffentlichkeit wahrscheinlich unbeabsichtigt. Daher fehlt dieser Aspekt der Angelegenheit durchgängig in den Medien.
Die geltende deutsche Rechtslage erlaubt westlichen Nachrichtendiensten in Deutschland ausdrücklich das Postgeheimnis zu verletzen. Das wurde noch vor den sogenannten Notstandsgesetzen im Mai 1968 mit dem G10-Gesetz sogar offiziell von der Bundesregierung zugestanden und müsste allen deutschen „Politikern“ bekannt sein. Darauf verweist der Historiker Prof. Dr. Josef Foschepoth in Freiburg: „Bis dahin (Mai 68) gab es praktisch nur alliiertes Recht in Deutschland, zunächst als Besatzungsrecht. Dann wurde dieses als sogenanntes Vorbehaltsrecht fortgeschrieben… Es war dann die Aufgabe dieses Gesetzes, im Grunde alle diese Dinge (d.i. Besatzungsrechte) sicherzustellen, die die Alliierten wollten… Dieses Vorhaben (eigenständige Dienste) wurde jedoch nie zu Ende geführt, (sondern man hat die alliierten Vorbehaltsrechte) „im Grunde nur verschoben, und damit das alliierte Recht weiter beibehalten. Und … das gilt noch bis heute.“, soweit Foschepoth.http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2013/07/07/merkel-wusste-alles-us-geheimdienste-duerfen-in-deutschland-legal-schnueffeln/
Der Abhörfall hat eine weitere, noch makaberere Seite. Innenminister Friedrich zeigte sich wiederholt den USA gegenüber dankbar, weil es mit ihrer Aufklärungshilfe möglich gewesen sei, Terroranschläge rechtzeitig aufzudecken. Von wem solche Terroranschläge ausgegangen sein könnten, setzt er als bekannt voraus. In Italien flogen die Terroristen auf, die das Blutbad in Bahnhof von Bologna 1980 angerichtet hatten. Es waren nicht Anarchisten, wie ursprünglich gemeint. Sie waren nur „patsies“, es war „Gladio“ die „Stay Behind“ Gruppe der NATO. Sie hat damit und mit der Ermordung von Aldo Moro durch „Terroristen“ innenpolitische Weichen gestellt. Zur Zeit läuft ein ähnlicher Prozess in Luxemburg (Bommeleer-Prozess) bezüglich Terroranschlägen in den Jahren 1984-6. Er soll klären, ob sie von der gleichen NATO-Terrorgruppe durchgeführt wurden. Der erwähnte Juncker-Rücktritt steht damit in Beziehung. Er hatte über die Vorfälle bereits 2006 zusammen mit anderen ein Gespräch mit seinem Geheimdienst-Chef Marco Mille und dessen Kollegen geführt. Mille hatte sie ins-„geheim“ aufgenommen und will/soll (?) sie nun dem Gericht in Luxemburg zur Verfügung stellen. Deshalb nahm Juncker nun seinen Hut (aber nicht gleich, erst muss noch…). Bei dem Gespräch 2006 soll sogar Lucio Gelli von der Loge P2, dem Führungsgremium der Stay Behind Gruppe, dabei gewesen sein. Ein Andreas Krämer lieferte in diesem Zusammenhang (wie im Spatz berichtet) weitere Hinweise, die u.a. den Anschlags beim Oktoberfest 1980 in München betreffen. Ermittlungs-Pleiten, -Pech und -Pannen, die damals die Aufklärung verhinderten, erinnern sehr stark an Vorgänge im Zusammenhang mit den NSU-Morden. Trotz einer entsprechenden Anfrage im Bundestag blieben Bundesregierung und vor allem die Medien bei diesem brisanten Thema die Aufklärung schuldig. Nix wird gesagt.
Man kann leicht aufklären, wenn man das Aufzuklärende selbst mit Hilfe sogenannter „patsies“ in Szene setzt. Der amerikanische Journalist Trevor Aaronson zeigt in seinem Buch „The Terror Factory“ glaubwürdig, dass mindestens die Hälfte der Terror-Verfahren des FBI seit 9/11 auf der Vorarbeit von V-Männern beruhte, „von denen viele erst mit großen Geldbeträgen vom FBI zur Terrorplanung bewegt wurden“. Ob es in Europa ähnlich zugeht, zeigte sich schon in Prozessen, und das sollen die anstehenden untersuchen (wenn man sie lässt).
Neben „Informationen“ a la Snowden dient die europäische Staatsschuldenkrise dazu, die Souveränität der EU-Länder, der sogenannten Verbündeten, einzuschränken. Die Souveränität der EU-Mitgliedsstaaten besteht gegenüber der EU-Verwaltung in Brüssel zum Teil noch, nicht aber gegenüber Washington. Auch das macht der Fall Snowden überdeutlich. Gegen internationales Recht und gegen den Geist der Demokratie haben Frankreich, Italien, Spanien, Portugal und Österreich (Deutschland hatte man wohl gar nicht erst gefragt) auf Befehl Washingtons am 2.7. dem Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales den Luftraum gesperrt, es in Wien zur Landung genötigt und durchsuchen lassen, um Snowden, einen Menschen, zu finden, der der demokratischen Öffentlichkeit die Informationen zukommen ließ, die ihr außerhalb der Legalität vorenthalten wurden. Das war ein schwerwiegender Bruch diplomatischer Regeln und internationalen Rechts. Rechtsverständnis, Überheblichkeit und Arroganz der Machthaber in Washington (nicht die Regierung sondern ihrer Geld- und Auftraggeber) ist genauso schockierend, wie die Unterwürfigkeit ihrer „frei gewählten“ Vasallen in Europa.
Wie tönte doch US-Präsident Obama am 19.6. vor dem Brandenburger Tor in Berlin: “Wollen wir frei leben oder in Ketten? Unter Regierungen, die das universelle Recht hochhalten oder unter Regimen, die es unterdrücken? In offenen Gesellschaften, die die Unverletzlichkeit (sanctity) des Individuums und unseren freien Willen achten oder in geschlossenen Gesellschaften, die die Seele ersticken?” Nun, es kommt darauf an, welche Bedeutung man den Worten gibt und was man unter „frei“ verstehen will: etwa die Freiheit, aus heimlich oder unheimlich herbeigeführten allgemeinen Notständen für sich, bezw. seine Auftraggeber Profit zu schlagen. Obama hätte richtiger fragen sollen: Wollen wir aufrecht gehen oder heuchlerisch gebückt? Die Antwort muss sich jeder selbst geben. Er kann sich auch bei gegebener Abhör-Realität nicht darum herumdrücken – geht es doch um sein Leben und nicht nur um sein Geld.
1 Reaktion zu “„Wollen wir frei leben oder in Ketten?“ (Obama)”
Als Ergänzung ein auch lesenswerter Artikel, sowie die Verweise:
„Warum es keine wahren Whistleblower mehr geben kann“
http://de.sott.net/article/11194-Warum-es-keine-wahren-Whistleblower-mehr-geben-kann
Grüße,
R.Hensel
Demokratie ist: Wenn 2 Wölfe und ein Schaf abstimmen, was es Mittags zu essen gibt.
Freiheit: Wenn das Schaf bewaffnet ist.