„… das Rettende auch“ (Hölderlin)
5. April 2014 von admin
„Meinungsfreiheit ist eine der Haupterrungenschaften der Demokratie und ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal gegenüber totalitären Gesellschafts-systemen…“ Was aber ist Meinungsfreiheit und wo ist sie, – etwa im Westen? Am 9. 3., seinem 90. Geburtstag sagte der Autor Peter Scholl-Latour in einem Interview bei heise.de: „Wir leben in einem Zeitalter der Massenverblödung, besonders der medialen Massenverblödung. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie einseitig die hiesigen Medien, von TAZ bis Welt, über die Ereignisse in der Ukraine berichten, dann kann man wirklich von einer Desinformation im großen Stil berichten, flankiert von den technischen Möglichkeiten des digitalen Zeitalters, dann kann man nur feststellen, die Globalisierung hat in der Medienwelt zu einer betrüblichen Provinzialisierung geführt. Ähnliches fand und findet ja bezüglich Syrien und anderen Krisenherden statt.“
Er meinte wahrscheinlich nicht nur die langweiligen Medien-Talkshows von „anerkannten“ Dünnbrettbohrern und professionellen Schaumschlägern, sondern auch die Aktivitäten der weltweit organisierten Empörungs-Industrie, wie Greenpeace, Transparency International,Campact e.V., mit ihren über Twitter, Facebook, YouTube et c. inszenierten „shitstorms“ (hysterischen Massenempörungswellen). Doch von interessierter Seite über emotionisierende Themen aus der Trickkiste der Political Correctness ausgelösten Kampagnen in den sozialen Netzen zeigen erst Wirkung, wenn sie in den üblichen Medien aufgegriffen werden. Journalisten neigen dazu, weil sie sich die Mühe der Recherche ersparen und das entsprechende Material, Presseerklärungen, fertige Berichte und YouTube-Clips einfach übernehmen können. Voraussetzung für den Erfolg ist allerdings ein unkritisch „kritisch“ eingestelltes Publikum, das sich gerne entrüstet, und bei dem eingefleischte Vorurteile das überprüfende Nachdenken verwehren. Werden die Voraussetzungen, die von langer Hand „eingeübten Vorurteile“ nicht beachtet, können solche Kampagnen auch daneben gehen.
Das scheint mit dem gegen Putin und Russland geplanten „shitstorm“ der Fall zu sein. Er rechnete mit den aufwendig propagierten antikommunistischen Vorurteilen der 50er bis 80er Jahre – allerdings vergebens. Eingefleischte Verteidiger „westlicher Werte“ („Freiheit, Recht Demokratie“ als abgegriffene Verpackung von Heuchelei, Lügen, skrupellosem Über den Tisch ziehen, Sozialisierung von privatwirtschaftlichen Verlusten zu Lasten der Allgemeinheit und anderen Praktiken der westlichen Elite) und ihre bezahlten Propagandisten mögen auf diese Kampagne hereinfallen. Die verängstigte und „friedliebende“ Masse wittert aber Gefahr und verweigert mehrheitlich der Empörungs-Industrie die Gefolgschaft. Die Bürger in Deutschland wollen nicht so recht mitgehen, beklagt sich die FAZ. und darüber, dass eine Mehrheit der Deutschen sich gegen die Politik der Bundesregierung in der Krim-Krise wendet und das Verhalten der EU gegenüber Russland kritisiert, und Die Welt am 3.4. „Die Deutschen gehen auf Distanz zum Westen. Die Krim-Krise hat das Vertrauen der Deutschen in Nato und EU erschüttert. Die Mehrheit der Bürger plädiert in dem Konflikt für Neutralität gegenüber Russland – und eine deutsche Vermittlerrolle.“
Das musste zu seinem Leidwesen auch Wolfgang Schäuble erfahren, der seinen Karrieremanagern zuliebe die Ereignisse in der Ukraine vor Berliner Schüler mit der „Hitlerkeule“ erklärte: „Das kennen wir alles aus der Geschichte. Solche Methoden hat schon der Hitler im Sudetenland (der letzten Weichenstellung hin zum 2. Weltkrieg) übernommen.“ Schäuble musste das nun dementieren. Als Bundesfinanzminister hatte er möglicherweise an Winston Churchill’s Aussage in seinem Buch “Der Zweite Weltkrieg” von 1960 gedacht, wo es hieß: „Das unverzeihliche Verbrechen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg war der Versuch, seine Wirtschaftskraft aus dem Welthandelssystem herauszulösen und ein eigenes Austauschsystem zu schaffen, bei dem die Weltfinanz nicht mehr mitverdienen konnte.“ (Sie kennen aus Ihren Medien wahrscheinlich nur andere, also „verzeihlichere“ Verbrechen.). Ähnliches scheinen inzwischen Russland, China und möglicherweise der gesamte BRICS-Block mit ihren Goldkäufen vorzubereiten: eine eigene, goldgedeckte Verrechnungsstelle, die den Handel zwischen den Nationen vom Dollar abkoppelt. Kann es ein unverzeihlicheres „Verbrechen“ geben?
Zum „Mitverdienen“ muss man seit 1945 kein Land mehr erobern. Es genügt, einem Land ein Regime zu oktroyieren, das die Zentralbank des Landes nach „westlichem“ Vorbild so an die internationalen Finanzmärkten bindet, dass diese das Geldsystem steuern, etwa wie nach dem regime change in Irak oder in Libyen. Regime, die das verweigern, gelten im Westen als Diktaturen und sollen deshalb „gechanged“ (ausgewechselt) werden.
Um das massenglaubhaft als notwendig erscheinen zu lassen, scheut man wie in den Klima-, Umwelt-, Vergiftungs-, usw.-Kampagnen nicht vor Übertreibungen zurück, wie zum Beispiel: „Wladimir Putin will auch Finnland und Georgien annektieren“ (31.03.2014, 13:18 Uhr | T-Online.de), oder wie der „Stern“ und der britische „Independent“ vermelden: Putin habe vor, Teile Georgiens, die Ukraine, Weißrussland, die Baltischen Staaten und sogar Finnland wieder zu annektieren. Gewährsmann dafür ist Andrej Illarionov, ein Mitarbeiter des Wirtschaftsberaters Jeffrey Sachs. Dieser hatte im Auftrag von Weltbank und IWF unter dem von Präsident Boris Jelzin zum Ministerpräsidenten der Russischen Föderation berufenen Tschernomyrdin Russland der westlichen „Schocktherapie“ zu unterziehen, und zwar mit den verheerenden Folgen für die Wirtschaft des jeweils betroffenen Landes, wie sie diese Institutionen der Freiheit in der Dritten Welt bereits „erfolgreich“ durchgesetzt hatten. Darauf bezog sich wohl Tschernomyrdins berühmtes Bonmot: „Gewollt war das Beste, aber es kam wie immer“. Putin hatte das eingeleitete Vernichtungsverfahren der russischen Wirtschaft gestoppt und sich damit den Hass der westlichen Elite zugezogen. Unter Putin hatte sich Illarion zunächst (mit guten Gründen) gegen die Unterzeichnung des Kyoto Klimaschutz-Protokolls eingesetzt, was seiner Funktion als Präsidentenberater nicht mehr nützte aber den Weg zur heutigen Position öffnete, Senior Manager des „rechten“ US-Think-Tanks Cato Institute.
Shitstorm-Kampagnen dienen in der Regel einem gesellschaftspolitischen, oft einem wirtschaftlichen, aber immer einem machtpolitischen Zweck. Welchen hat die Anti-Russland-, Anti-Putin-Kampagne. Soll das alte Feindbild wieder aufpoliert werden, um mit der Angst vor dem russischen Bären die immer mehr gegen die Brüsseler Bürokratie aufbegehrenden Europäer „zu einen“ und auf dem Weg zum Euro-Superstaat der Brüsseler Zentralisten voranzutreiben, oder ist mehr, Gefährlicheres im Spiel?
Zur Klärung der Frage sind einige Bemerkungen „führender“ Politiker zu beachten. Der scheidende NATO Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen verkündete am 1.4. nach der Sitzung des NATO-Rates auf der Außenministerebene: „Wir werden zur Festigung der Kampfbereitschaft der ukrainischen Streitkräfte beitragen. Möglich wäre die Entsendung mobiler Trainingsgruppen. Wir sprechen von einer Unterstützung bei der Transformation der ukrainischen Streitkräfte zu einer modernen und effektiven Armee, die angesichts militärischer Bedrohungen zu einem wirksamen Schutz bereit wäre.“ Gleichzeitig wurde die bisherige militärische Zusammenarbeit mit Russland aufgekündigt.
Die NATO will auch ihre militärischen Aktivitäten auf die früheren Sowjetrepubliken Armenien, Aserbaidschan und Moldawien ausweiten. So Spiegel online vom 31.3. laut einem vertraulichen Papier der NATO. Keiner dieser drei Staaten hatte bisher eine Mitgliedschaft im westlichen Militärbündnis beantragt. US-Präsident Barack Obama hatte noch vor wenigen Tagen – wie inzwischen für diesen Herrn üblich – irreführend beteuert, dass keine „unmittelbare“ Ausweitung des Bündnisses beabsichtigt sei. So etwas hatten seine Vorgänger auch Gorbatschow und Jelzin zugesichert aber nicht gehalten, angeblich weil es nicht „schriftlich fixiert“ war oder weil sich „unmittelbar“ interpretieren ließ.
Auf eine „offizielle“ NATO-Mitgliedschaft kommt es inzwischen nicht mehr an, es zählen nur noch militärische Fakten. Nichtmitglied Georgien stellt z.B. bei nur 4,5 Mio. Einwohnern das fünftgrößte Kontingent der internationalen Besatzungstruppen in Afghanistan (pro Kopf bei weitem das größte). Die Ukraine hatte längst vor dem Umsturz und vor der Einbindung in die NATO engste Verbindungen zum westlichen Militärbündnis. Sie beteiligte sich mit Polen an der „Friedenstruppe“ im Kosovo. Ukrainer dienten unter NATO-Befehl im Irak, Afghanistan und in der Operation Active Endeavour. Auf dem NATO Gipfel in Bukarest 2008 wurde die Ukraine zum künftigen NATO-Mitglied erklärt. Die Mitgliedschaft verhinderte die Abwahl des „gelben Revolutionärs“ Juschtschenko 2010, weil sein Nachfolger Viktor Janukowitsch und das neugewählte Parlament (mit 226 Stimmen) es vorzog, blockfrei zu bleiben. Das machte dann den westlichen regime change Anfang 2014 erforderlich. Das 2014 gewaltsam „bereinigte“ ukrainische Parlament hat dann am 1.4. die Entscheidung des neuen Präsidenten Alexander Turtschinow unterstützt, gegen ein ausdrückliches Verfassungsverbot im laufenden Jahr Truppen der USA und anderer Staaten ins Land zu lassen.
Die Ukraine war schon vor dem Umsturz in die Response Force der NATO eingebunden gewesen. Eine solche Einbindung ist laut Spiegel nun für Moldawien vorgesehen. Dort könnten Unruhen ein weiteres „Eingreifen“ erforderlich machen. Dafür ist von der buntrevolutionären Regierung vorgesorgt worden. Sie hat – wie neuerdings in der Ukraine – den Minderheitenschutz aufgehoben und über die prorussische Provinz Transnistrien eine Wirtschaftsblockade verhängt. Diese wird propagandistisch und „zur Grenzüberwachung“ auch „finanziell“ von den USA und der EU unterstützt.
Zur Klärung der o.a. Frage sind auch die Folgen eines gegen Russland in Aussicht gestellten Wirtschaftsembargos zu beachten. Russland ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. Der Güteraustausch erreichte im vergangenen Jahr einen Wert von 105 Mrd. Euro. Über 300.000 deutsche Arbeitsplätze sind mit diesen Geschäften verbunden.Der Energiebedarf Deutschlands hängt zu 35 % von russischen Gaslieferungen ab. Russland kann sein Gas unschwer an das energiehungrige China verkaufen. Unsere gefügige Kanzlerin will dafür Flüssiggas aus den USA importieren. Preise spielen, wie bei der Energiewende, keine Rolle. Das Geld der Bürger fließt dann ja, wie bei der Bankenrettung, in die „richtigen“ Kassen.
Eine Antwort auf o.a. Frage gibt Finian Cunningham, der bevor er sich selbstständig machte, Wissenschaftsredakteur der Royal Society of Chemistry in Cambridge, England war. Er schrieb am 3.4. unter www.presstv.ir „Die USA sind dabei Europa in einen Krieg gegen Russland zu stürzen, um die Hegemonialmacht zu behaupten. Das Hauptziel dabei ist, Russland und Europa daran zu hindern engere wirtschaftliche und politische Verbindungen einzugehen… und zweitens den Dollar als Weltreservewährung zu erhalten…“ (Das entspricht genau der Mackinder- (1904) / Brzezinski-Doktrin (1997)) Cunningham bezieht sich dabei unter anderem auf Christof Lehmannn von snbc international der auf folgendes hingewiesen hatte: „Anfang der 1980er Jahre sagte ein europäischer Admiral in der NATO-Spitze, ein Amerikanischer Kollege aus dem Pentagon habe ihm unzweideutig gesagt, die USA und das UK würden nicht zögern einen neuen europäischen Krieg auszulösen falls Europa und Russland (damals noch die UdSSR) engere Beziehungen eingehen würden.“
Lehmann hatte auch zu bedenken gegeben, “dass der europäisch-russische Energiehandel die Rolle des Dollars als Weltreservewährung gefährde“, weil der Ausbau dieses Handels unweigerlich „zu einem Euro/Rubel-Markt tendiere, der das Ende der finanziellen Hegemonie Amerikas bedeuten… und die USA in den nächsten 25 Jahren politisch, kulturell und wirtschaftlich isoliert zurücklassen würde.“ Das dürften die jüngst viel beschworenen Lehren aus den Weltkriegen bestätigen, wonach die USA sich erst die Europäer aneinander abkämpfen ließen, ehe sie mit geringem Aufwand den Siegespreis davon trugen.
„Allerdings wolle die USA, schreibt Lehmann nicht unbedingt eine direkte Konfrontation riskieren, sondern nach dem Model Libyen einen „Unkonventionellen Krieg der Sondereinheiten“ entsprechend der geheimen aber durchgesickerten Anweisung Special Forces Unconventional Warfare, TC 18-01 vom Nov. 2010 führen. Dabei sollen möglichst andere, auch Terroristen die militärische Dreckarbeit leisten. Saudi Arabiens Unterstützung der Terroristen in Tschetschenien, im Kaukasus, von Saudi Arabien, Katar, Türkei, den US, dem UK und Frankreich unterstützte Söldner in Syrien, die von der EU und den USA unterstütze gladioartige UNA-UNSO in der Ukraine und in Georgien entsprachen bereits dem Konzept des „unkonventionellen Krieg“ der USA gegen Russland.
Vielleicht sollte man sich auch daran erinnern, dass die USA nach eigenen Angaben in den letzten 200 Jahren bis 2004, 220 Kriege, militärische Interventionen und CIA- Operationen gegen ausländische Staaten durchgeführt haben. Nach eigenen Angaben unterhalten die USA laut Wikipedia (jedenfalls im Jahr 2008) 761 Militärbasen im Ausland. Andere halten diese Angaben für ein Understatement. Skrupel sind von der US-Elite nicht zu erwarten – vor allem nicht wenn es um ihr Allerheiligstes, den Dollar geht.
Vielleicht sorgt Chinas Präsident Xi Jinping mit seinem Vorschlag am 29.3. in Duisburg für Entspannung. Er bot der deutschen Regierung an, gemeinsam einen Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel zwischen Deutschland und China quer durch Russland zu entwickeln. Der Vorschlag entspricht grob dem, was ich in meinem Buch von 1998 Die neue Seidenstraße, die Eurasische Landbrücke schafft produktive Arbeitsplätze zur Überwindung der Wirtschaftskrise dargelegt hatte.
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1 Reaktion zu “„… das Rettende auch“ (Hölderlin)”
Zur wirtschaftlichen Vorgeschichte des 2. Weltkriegs habe ich neulich eine interessante Internetseite entdeckt:
http://www.vorkriegsgeschichte.de/content/view/24/40/
Ansonsten ein sehr guter Artikel.