Beisitzer der „Schöpferischen Zerstörung“? (J. Schumpeter)
26. April 2014 von admin
Der Spatz hatte letzte Woche Egon Bahr zitiert: „Wir weigern uns, zur Kenntnis zu nehmen, dass es das erste Mal wäre, dass eine bahnbrechende neue Erfindung (Internet) nicht für den Krieg missbraucht wird.“ Und nun (am 17.4.) veröffentlichte die Zürich Versicherung ihren Risiko-Bericht, der auf die Gefahren infolge der Vernetzung in Cloud-Netzen hinweist und vor einer «Cyber-Sub-Crime-Krise» warnt. In Cloud-Netzwerke mieten sich Anwender ein, um z.B. – vereinfacht gesagt – dadurch ihre software immer up to date halten oder Datenbestände „sichern“ zu können: Der Zusammenbruch eines grossen Cloud-Anbieters könnte dem Bericht zufolge einen ähnlichen Schock auslösen wie die Lehman-Pleite auf den Finanzmärkten: „Wenn plötzlich die Daten von wichtigen Unternehmen wie etwa Infrastrukturanbietern, Logistikkonzernen oder Behörden verloren gingen, würde der Dominoeffekt die Realwirtschaft erfassen.“ Die zunehmende Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft mit dem weltweiten Cybernetz könnte dazu führen, dass weitflächige Internetausfälle Banken, Wasserversorger, medizinische Geräte, Autos, Kraftwerke, Trafos oder Staudämme bedrohen.
Der verantwortliche Herausgeber des Berichts, Axel Lehmann, bot am 22.4. bei der Vorstellung des Berichts drei Personenkreise als traditionelle Verursacher entsprechender Risiken im Internet an: nämlich Hacker als Kriminelle, als Spione oder als Militärs. Dabei würden Daten gestohlen oder Internetseiten durch Überlastungsattacken lahmgelegt. Die genannten Personenkreise beziehen sich auf mögliche Motivationen.
Kriminelle beziehen sich auf wirtschaftliche Vorteile, die man sich durch das Eindringen in das Computernetz etwa der Konkurrenz erhofft. Bundesweit gehen jährlich 50 Milliarden durch Internet Spionage verloren, schätzt ein Team der Universität Lüneburg, berichtete das Hamburger Abendblatt am 8.8.2011. Gerade Mittelständler sind schutzlos, 2006 gab es an der Lüneburger Universität Seminare über das Abhören und die Industriespionage über das Internet. Damals wurde all das behandelt, was seit Snowden allgemeine Empörung auslöste. Doch damals interessierte es kaum jemanden. Erst als bekannt wurde, dass auch das Telefon der Kanzlerin abgehört wurde, schlug die Empörung hoch. Dabei ging es z.B. der 2. Interessengruppe um (politische) Spionage. Man wollte sich der „wirklichen“ Ideen und der Zuverlässigkeit des politischen „Verbündeten“ versichern, weil man von sich auf andere schloss und deshalb der übertrieben Verbündeten nicht traute.
Die Risiken betreffen nicht nur das Ausspähen von Geschäftspartnern, Drittanbietern und politischen Entscheidern, sie ergeben sich auch aus militärische Bestrebungen, wichtige Technologien oder die Infrastruktur (insbesondere Strom, Telekommunikation oder Finanzinfrastruktur) des Gegners zu schädigen oder internationale Machtkonflikte auszulösen und zu beeinflussen.
Auch dazu gibt es bereits einschlägige Beispiele. Im Juni 2010 wurde der computer worm Stuxnet westlicher Geheimdienste entdeckt. Er richtete sich gegen programmierbare Steuerungen und Kontrolle automatisierter industrieller Anlagen (Programmable Logic Controllers PLC), speziell gegen die Siemens Step7 software. Angeblich hat Stuxnet im Iran ein Fünftel der Nuklearen Zentrifugen zerstört. Der Wurm ist aber nicht spezifisch für diesen Zweck entwickelt worden, sondern kann entsprechende Steuerungssysteme in Autos, Industrieanlagen oder Kraftwerken angreifen. (vgl. S. Karnouskos: Stuxnet Worm Impact on Industrial Cyber-Physical System Security. 2011). Der Wurm arbeitet auf dreifache Weise. Er greift die Steuerung an, spioniert sie als Schläfer im Steuerungssystem aus und versteckt den Angriff so, dass er nicht so leicht zu entdecken und zu analysieren ist. Den Kontrollständen werden beim Störangriff z.B. Daten zugespielt, als ob das System fehlerfrei liefe. Inzwischen gibt es im Netz bereits zahlreiche Varianten dieser Schadware.
Im Falle einer Attacke auf das Internetsystem sieht der Risikobericht der Zürich Versicherung keine Institution, die wie Zentralbanken oder Finanzministerien helfend eingreifen könnten. Der Bericht schlägt vor, ein supranationales Gremium etwa einen Cyber-Stabilitätsausschuss der G20 zu bilden. Doch wäre so etwas angesichts der verdeckten Machtkämpfe der Blöcke überhaupt möglich? Und wenn schon, dann wäre es so vertrauenswürdig wie die Rolle der UNO in den aktuellen Machtkämpfen, also kaum? Aber vielleicht ließe sich durch eine solche Institution das Internet vor der Verbreitung gewisser unerwünschter Meinungen schützen.
In den aktuellen Machtkämpfen scheinen zur Zeit die Interessen und Vorgehensweisen der beteiligten Parteien immer deutlicher zu Tage zu treten. Es scheint (angesichts der Vorgänge um die Ukraine), die Vertreter glauben inzwischen auf die bisherige Verschleierungsreklame mehr und mehr verzichten zu können. Im Westen spielte die Idee „Demokratie“ (Volksentscheid) eine wichtige ideologische Rolle. Doch sie scheint auf die Zeremonie der „freien Wahl“ von Parteivertretern zu Repräsentanten der politischen Führung der Gesellschaft eingedampft worden zu sein. Was man ganz oben tatsächlich von „freien“ Wahlen hält, hat der scheidende EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy dankenswerterweis unbedacht in einem Interview mit Süddeutsche.de am 19.4. 2014 recht deutlich ausgesprochen. Auf die Frage nach dem geringen Interesse der Europäer an der Europawahl, die im Mai wieder einmal ansteht, sagte der Ratspräsident: „Es gab schon immer geringe Wahlbeteiligungen, von 1979 bis heute, also lange vor der Finanzkrise und auch vor der Euro-Krise. Die Bürger waren nicht so interessiert, weil es ihr tägliches Leben nicht beeinflusst hat.“ Nach der leeren Behauptung über die angeblich „wichtige Rolle des Europäischen Parlaments spätestens seit dem Lissabon-Vertrag“ stellte er fest: „Aber die Bürger wissen auch, dass die großen Entscheidungen nicht nur im Parlament fallen, sondern auch woanders“ nämlich „im Europäischen Rat, unter den Staats- und Regierungschefs. Dieser Unterschied zwischen dem Parlament und denen, die wirklich (und nicht „auch noch“) entscheiden, ist den Bürgern sehr klar.“
Auf die Frage nach der politischen Rolle der EU sagte der Präsident: „Europa ist anders. Sie haben 28 Hauptstädte. Manche sind wichtiger als andere. Und Sie haben die europäischen Institutionen. Und wir hängen ab von den Finanzmärkten. Am Anfang der Krise hatten wir oft den Eindruck, die Märkte seien mit im Raum gewesen, in dem wir Beschlüsse gefasst haben…“ Die Wähler waren dort selbst durch ihre Vertreter nicht vertreten wohl aber die Arrangeure der Finanzmärkte.
Warum das so ist, lässt sich leicht verstehen. Die Kommissare, aber auch die Parlamentarier sind in erster Linie Parteivertreter. Parteien funktionieren im Grunde wie Wirtschaftsunternehmen, wenn man will, genau wie Werbefirmen. Sie bringen nicht den Willen der Bevölkerung zum Ausdruck, sondern haben ihn auf eine bestimmte Politik zu lenken, so jedenfalls, dass die Mehrheit ihr zuzustimmen scheint oder wenigstens nicht aktiv dagegen aufbegehrt. Wie bei einem Kaufakt ist dazu beim Kunden eine günstige Meinung zu formen. Die In-Form-Bringung (Information), also die Meinungsbildung über Medien ist im Kontext der vorgefundenen Meinungs- und Interessen-Vielfalt inzwischen sehr teuer geworden. Beim Erwerb der Wählerstimmen zur Sicherung lukrativer Posten in den politischen Gremien („Wahlkampf“ genannt) verschulden sich die Parteien. Diese Schulden und ein bischen mehr bekommen die Parteien beziehungsweise ihre Führungen von der Finanzindustrie natürlich nicht zum Nulltarif finanziert. Deshalb sitzen „die Märkte“ mit im Raum, wenn die Entscheidungen gefällt werden, z.B. Entscheidungen über den „Werterhalt“ von „Investitionen“ in wirtschaftlich nicht mehr vertretbare (und somit wertlose) Staatsschulden.
Van Rompuys Eingeständnis „Dieser Unterschied zwischen dem Parlament und denen, die wirklich entscheiden, ist den Bürgern sehr klar“ ist mutig aber nicht unbedingt richtig. Die Bürger ahnen zwar den Unterschied mehr und mehr, aber wirklich klar gemacht haben sie ihn sich nicht. Sie würden sonst – schon angesichts der sich neuerdings wieder zuspitzenden Ost-Westkämpfe – nicht nur mit Desinteresse, sondern mit aktivem Protest gegen die verantwortlichen großen Systemparteien reagieren. Allerdings kommt die sich ausbreitende Skepsis inzwischen schon bedenklich nahe an ein plötzliches Erwachen der Bürgerwut heran. Die Bürger könnten zum Beispiel vorab in der kommenden Europawahl, bei der es auf das Parlament offensichtlich nur kaum oder – genauer – fast nicht ankommt, mit gutem Gewissen unbedeutende Parteien wählen, um den etablierten Werbeparteien ihr Missbehagen zu bekunden. Aber selbst das werden sie sich wegen eines verbliebenen, wenn auch unreflektierten Verantwortungsbewusstseins wohl nicht getrauen. Das Wahlergebnis dürfte dank der Medien vermutlich kaum vom herkömmlichen abweichen.
Zur Klärung der Situation, in der wir uns befinden, ist vielleicht aufschlussreich, sich an ein Ereignis zu erinnern, das vor 5 Jahren, genauer, am 5. Mai 2009 in den privaten Räumen des damaligen Präsidenten der Rockefeller Universität in New York stattgefunden hat. Bill Gates und Warren E. Buffett hatten die reichsten Männer und größten Spender der USA zusammengetrommelt (philanthropy.com) darunter Oprah Winfrey, Ted Turner, David Rockefeller, George Soros, Peter G. Peterson, Eli Broad, Julian Robertson, John Morgridge u.a. Man erörterte, welches wohl die größte Zeitbombe sei, die das Weltwirtschaftssystem und damit ihre Führungsfunktion zum Einsturz bringen könnte – ein Problem, das, wenn es nicht gelöst wird, alle anderen ihrer philanthropischen Bemühungen ins Leere stoßen lassen würde.
Man sprach über die Stiftungen und Spenden, die man tätigte, und warum man das tut. Dann über anstehende entscheidende gesellschaftliche Probleme. Zur Debatte standen: Weltkrieg, Verknappung der Ressourcen, Auseinandertriften von Arm und Reich, kapitalistische Verzerrung der Demokratie, Klimaerwärmung, Entwicklung der Technologie. Dann wollte man sich auf das größte und zentrale Problem einigen, von dem alle anderen entweder abhingen oder an dem ihre Lösung scheitern würde. Man einigte sich auf das, welches schon Müller van den Bruck in seinem Buch Das Dritte Reich von 1923 als Schlüsselproblem vorschwebte: Übervölkerung, es gibt zu viele Menschen auf der Erde. Man entschloss sich dieses Problem von nun an in den Mittelpunkt der „philanthropischen“ Arbeit zu stellen.
Wie die Überbevölkerung nach Meinung der Milliardäre zu beseitigen sei, darüber ließen sie sich öffentlich nicht aus. Darüber wird aber viel spekuliert. Man tippt auf Herstellung und Verbreitung betrügerischer Finanzpapiere, militärischer Ausrüstung, genetisch manipulierter Nahrung, Diabetes verbreitender Fast Food, Pharmazeutika einschließlich problematischer Impfstoffe, Überwachungssoftware, Computerviren, elektronischer Systemstörungssoftware, Chemtrails usw. Für jeden Geschmack ist etwas dabei – auch für diejenigen, die dergleichen mit dem Argument: „alles nur Verschwörungstheorie“ nicht wahrhaben wollen. Gehören Sie auch zur Überbevölkerung oder nur die anderen?
Als harmloses Beispiel für die Aufrichtigkeit politischer Meinungsbildungsverfahren mag hier zum Schluss die jüngste Initiative des Schleswig-Holsteinschen Ministerpräsidenten Torsten Albig (SPD) dienen. Dieser forderte scheinbar ganz unpopulistisch eine Sonderabgabe zur Finanzierung der Reparatur des Straßennetzes. „Wir müssen den Bürgern dieses Landes klar sagen, dass wir ein zusätzliches nutzerfinanziertes System für den Erhalt unserer Infrastruktur benötigen“, (laut FAZ vom 22.4.) Man hatte den Bürgern das Gleiche bei der Einführung der KFZ-Steuer und dann wieder zur Begründung einer zusätzlichen Treibstoffsteuer gesagt und dann die Einnahmen anderweitig verwendet. Jetzt steht die Autoindustrie vor der Tür und fordert mit Hilfe der Grünen und anderer Fabriger die Finanzierung des Absatzes ihrer teuren kurzlebigen Elektroautos. „Finanzierung der Reparatur des Straßennetzes“ klingt aber besser und lässt sich leichter verkaufen. Natürlich kann keiner behaupten, dass Albig es in diesem Fall nicht so gemeint hat, wie er es sagte. Dafür, was schließlich damit finanziert wird, sorgen die anderen, die mit im Raum sitzen.