… bis der Henkel bricht.
11. Mai 2018 von admin
Der US-Präsident nannte den Iran ein “mörderisches Regime”. Gibt es faktisch ein mörderischeres Regime als die USA mit ihren seit 16 Jahren betriebenen, völkerrechtswidrigen Aggressionen im Nahen Osten, die bisher rund 6 Millionen Menschenleben gekostet, Emigrationnswellen ausgelöst und kräftig für die Rekrutierung von Terroristen gesorgt haben. Aber wir, der Westen, sind die Guten, die anderen – was sind die? – offensichtlich alles was schlecht und unerheblich ist. Gibt es Gelüste auf einen Regime Change, stellen die Massenmedien sofort den Sprachgebrauch darauf ein: Diktator, Schlächter, Mörderisch etc. Willkürmaßnahmen und Lügengeschrei westlicher Medien scheinen von arroganter Selbstsicherheit zu strotzen. Näher besehen sind sie Anzeichen von Schwäche. Eine winzige Clique von Leuten, die sich kraft ihres Rechts nach Gusto Dollar drucken zu dürfen als die Herren der Welt verstehen, sehen ihre Felle davon schwimmen und geraten in Panik. Sie hetzen ihre Politikverkäufer hektisch in Verstöße gegen das Völkerrecht, die sich mit Vernunft und Perspektive nicht mehr in Verbindung bringen lassen. Sie opfern die letzten Reste der bisherigen bipolaren Weltordnung, die nach 1945 eingerichtet worden war und bisher den Großen Endkampf verhindern konnte.
Die USA bilden jetzt mit Israel und Saudi-Arabien eine Gruppe, die ihre bisherigen Phrasen von „Demokratie und Freiheit“ nur noch gegenüber ideologisch verblendeten Idioten glaubhaft vertreten kann. Russland und China stellen die Gegengruppe. Dazwischen liegen verschiedene andere Gruppierungen.
Eine davon ist die EU, die wegen ihrer ekelerregenden Hörigkeit, die ihr bisher weniger als Nichts eingebracht hat, nicht mehr weiß, wer sie ist und was sie selbst will oder glaubt, wollen zu dürfen. Emmanuel Macron und Angela Merkel waren nach Washington gereist, um für ihre Position zu werben. Sie kamen mit leeren Händen als übertölpelte Nichtse zurück. Der neue US-Botschafter, Richard Grenell, hat am 8.5., dem Tag seines Amtsantritts, weithin zu verstehen gegeben, was man in Washington von Europa hält. Er hat die Unternehmen der Bundesrepublik ultimativ aufgefordert, ihre Geschäfte im Iran „sofort herunterzufahren“. (Spiegel.de 09.05.20188). Zuvor war das Gleiche mit ähnlichen völkerrechtlich bedenklichen Sanktionen gegen Russland geschehen – nur für die deutsche Regierung scheinbar etwas weniger beleidigend . Wie es aussieht, wählt Europa faktisch die Unterwerfung, während es propagandistisch den Schein der Selbständigkeit aufrechtzuerhalten versucht.
Wieder eine andere Gruppe stellen Japan, Indien, Australien und Kanada. Die ehemaligen Westler finden sich in einer ähnlichen Lage wie Europa, weisen aber deutlich mehr Selbstbewusstsein und Selbständigkeit auf als das senile, kriecherische Europa, das spätestens mit dem Kosovo-Krieg 1993 (damals seitens Rot/Grün) im Dienst der USA seinen Untergang eingeläutet hat. Dann gibt es noch Länder der Dritten Welt, die darauf angewiesen sind, sich dem stärkeren und zahlungsfähigeren Block anzuschließen. Und der scheint immer weniger der US-Block zu sein. Die Gräben zwischen den Lagern verbreitern sich zusehends. Eine Krise droht, aber eine Krise ist, wie das Wort sagt, eine Wegegabelung. Sie kann eine Entscheidung zum besseren sein, weg von der aggressiven Geschäftemacherei und hin zu einer Gesellschaftsformation, die Arbeit und Handlungen zum Wohl der breiten Weltbevölkerung möglich macht.
Präsident Donald Trumps Entscheidung, das Atomabkommen mit dem Iran aufzukündigen und wieder Sanktionen gegen das Land zu verhängen, mag mit allerlei machtpolitischen Argumenten verkauft werden. Etwa: Der Vertrag habe zu wenig die Destabilisierungsmaßnahmen des Iran im Nahen Osten berücksichtigt. Doch wer destabilisiert in dieser Region, wer führt dort Aggressionskriege ohne selbst bedroht worden zu sein und das unter offensichtlich erlogenen Vorwänden? Wer versuchte im Sinne seiner Verbündeten Saudi Arabiens und Israel mit gekauften religiösen Fanatikern säkulare nationale Regime zu stürzen, um leichter zu manipulierende islam-fanatische (der Muslim-Bruderschaften) zu etablieren?
Im Grunde geht es den Bloß-noch-Krämerseelen im Hintergrund wieder einmal in erster Linie um Geldgewinn. Das ist in der „westlichen“ Marktgesellschaft logisch, die als einziges ernsthaftes Handlungsmotiv (angeblich „zum Wohle aller“!) die egoistische Erzielung von Geldgewinn vorsieht. Die Kündigung des Atomdeals treibt den Ölpreis wieder in die Höhe mit der Hoffnung, die USA könnten mit den jüngsten neuen Errungenschaften des Fracking, das Öl- und Gas-Geschäft wieder an sich ziehen (vgl. Financial Times 10.5.) „Die günstigen wirtschaftlichen Bedingungen für ‚shale producers‘ mit höheren Preisen und niedrigeren Kosten bedeuten, dass der US oil output bereits schnell anstieg. Er soll im Jahr 2018 bereits den von 2017 um etwa 1.4 Mio Fass pro Tag übersteigen.“
„Ich hoffe, mit ihnen (dem Iran) einen Deal machen zu können, einen guten Deal, einen fairen Deal – einen guten Deal für sie, der besser für sie ist“, sagte Trump auf einer Wahlkampfveranstaltung am 8.5. in Indiana. Das klingt versöhnlich. Doch kann unter Umständen auch „Geld her oder Leben“ als ein „guter Deal“ für den Betroffenen durchgehen, wenn er überlebt. Die Möglichkeit eines „fairen Deals“ scheint bei den verbliebenen US-Verbündeten nicht so gut angekommen zu sein. Zwei Tage nach diesem Ausspruch haben am 10.5, israelische Streitkräfte – nach bereits rund 100 israelischen Angriffen auf Syrien seit 2011 – erneut etwa 50 Ziele in Syrien bombardiert. Das sei eine Antwort auf den Angriff eines iranischen oder syrischen Mehrfachraketenwerfers (Genaues weiß man nicht) gewesen. Dieser habe aus einer Position 30 bis 40 Kilometer von Damaskus entfernt die Golanhöhen beschossen, allerdings ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Wer, außer den Involvierten, weiß ob der Mehrfachraketenwerfer, wenn es ihn überhaupt gegeben hat, nicht zu eben diesem Zweck von den vom Westen unterstützten und bewaffneten Terrormilizen, die schon die Giftgas Vorfälle inszeniert hatten, bedient worden ist. Der israelische Angriff sei, heißt es, mit Moskau abgesprochen gewesen. (Benjamin Bidder in: Spiegel.de 10.05.2018). Soll Moskau damit – als Nebeneffekt – seine gewonnene Glaubwürdigkeit im Nahen Osten wieder aufs Spiel setzen, wie in den 1990er Jahren das innenpolitisch geschwächte Russland beim US-Überfall auf den Irak? Einen Angriff auf den Iran hatten die jüngst beförderten Hardliner in der US-Administration, John Bolton und Außenminister Mike Pompeo, seit Jahren mit der Begründung gefordert: Eine iranische Atombombe würde „die Handlungsfähigkeit der USA (sprich ihr Öl- und Gas-Geschäft) im Mittleren Osten begrenzen“ und Washington müsste dann „zweimal nachdenken, bevor es in der Region etwas unternimmt.“ (Hat es dazu etwa ein gottgewolltes Recht?) So etwas müsse notfalls durch Krieg verhindert werden. (Matthew Kroenig: Time to Attack Iran. Foreign Affairs Jan./Febr. 2012).
Und wie reagieren die Regierungen der angeblich „souveränen“Staaten Deutschland, Großbritannien und Frankreich? Sie seien dem Atomabkommen „weiterhin verpflichtet“, ließen sie bereits am 9.5. in einer gemeinsamen Erklären verkünden, doch müsse der Iran (trotz Sanktionen und Angriffe) „seine eigenen Verpflichtungen aus dem Abkommen weiterhin erfüllen“ und sich zusätzlich weiteren Forderungen des Westens unterwerfen. Diese beträfen nicht nur den „langfristigen Rahmen für das iranische Nuklearprogramm“ über den Zeitraum des Abkommens hinaus, sondern auch „Fragen des ballistischen Raketenprogramms des Iran und dessen destabilisierende regionale Aktivitäten, insbesondere in Syrien, Irak und im Jemen.“
Die „regionalen Aktivitäten“ des Iran hatte „der Westen“ durch seine Aggressionen selbst provoziert. Der US-geführte Überfall auf den Irak seit 2003 hat den politischen Einfluss der schiitischen Mehrheit des Landes und damit den Einfluss des Iran im Irak erheblich gestärkt. Der vom Westen erst durch die Terror-Milizen und dann durch den angeblichen Krieg gegen diese Milizen betriebene Krieg, ihre Zerstörungen in Syrien und die widerrechtliche Besetzung syrischen Gebietes (seiner wichtigsten Öl-Quellen) hat die syrische Regierung veranlasst, auch im Iran um militärischen Beistand nachzusuchen. Das hat die Präsenz iranischer Militärs in Syrien zur Folge gehabt. Der zunächst schwache Einfluss persischer Gruppen auf die Houthi-Milizen im Jemen ist eskaliert, als Saudi-Arabien mit direkter US-Unterstützung den Jemen direkt bombardiert hat. Jetzt richtet sich der Angriff des Westens (vorerst noch verstohlen) gegen den Iran, dessen Einfluss er aus politischer Dummheit oder eher mit machtpolitischem Kalkül selbst provoziert hat.
Der nun einseitig verkündete Bruch des Atomabkommens und die Wiedereinführung von US-Sanktionen gegen den Iran bringen neben den Russland-Sanktionen weitere milliardenschwere Einbußen für die deutsche Industrie (nicht für die amerikanische!) mit sich. Der bereits Ende 2016 vereinbarte Liefervertrag über 100 Airbus-Flugzeuge zum Preis von 16 Mrd. Euro an die Iran Air löst sich in Luft auf. Die US-Regierung hat die Exportgenehmigung für in den USA hergestellte Flugzeugteile annulliert und Airbus will sich den Sanktionen gehorsamst beugen (Handelsblatt.com 09.05.2018). Der Handel zwischen Deutschland und Iran war zuletzt auf ein Volumen von 3,4 Mrd. Euro im Jahr angewachsen. Die betroffenen Firmen müssen brav folgen, weil ihr Geschäft in den USA dasjenige mit dem Iran übertrifft.
Guido Steinberg, der Nah Ost Experte der regierungsamtlichen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hat der Unterwerfung Berlins bereits vorgearbeitet und (in: Internationale Politik Mai/Juni 2018. S. 64-69) gefordert: Sollte Iran sein Atomprogramm tatsächlich wieder aufnehmen (wie von Netanjahu ohne jeden Beleg behauptet), dann „sollten Deutschland und Europa zu dem Schluss kommen, dass es wichtiger ist, die atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern als einen Krieg zu stoppen. Damit wäre das „Transatlantische Bündnis“ wieder hergestellt.
In diesem Zusammenhang sind die Beschlüsse des Außenministertreffens der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) vom 24. 4. 2018, der China, Russland, Usbekistan, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Indien und Pakistan angehören, interessant. In ihr haben auch die Mongolei, der Iran, Afghanistan und Weißrussland einen beachtlichen Beobachterstatus. Laut Wikipedia „vertritt die SOZ zusammen mit Vertretern anderer angelehnter Staaten circa 40 % der Weltbevölkerung und stellt damit die weltweit größte Regionalorganisation dar.“ In ihren Beschlüssen vom 24.4. bekennt sich die SOZ zu einer multipolaren Welt, verurteilt alle destruktiven, unilateralen Aktionen (Sanktionen und dergleichen) und fordert multilaterale Schritte, um die Probleme der Welt zu lösen. Sie bekennt sich ausdrücklich zur UNO-Charta, zum Völkerrecht und zur Rolle des Weltsicherheitsrates für Frieden, Stabilität und Sicherheit, das heißt zu der Weltordnung, welche die USA, Saudi-Arabien und Israel durch ihr Vorgehen obsolet gemacht haben.
Die SOZ bezieht sich dabei auf die schwerwiegenden Probleme in Afghanistan und fordert, dass über die Zukunft Syriens allein das syrische Volk zu entscheiden habe und dem Land Souveränität, Unabhängigkeit und territoriale Integrität garantiert werden müsse. Sie unterstützt alle ernsthaften Friedensbemühungen für Syrien, mögen sie nun von der UNO oder von Russland, Iran und der Türkei ausgehen. Sie betrachtet den (damaligen) völkerrechtswidrige Angriff von USA, Großbritannien und Frankreich auf Syrien Mitte April mit großer Sorge und fordert alle Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens mit Iran auf, die Vertragsvereinbarungen vollumfänglich einzuhalten. Auch für die politische Lösung in der Ukraine fordert die SOZ die vollständige Umsetzung der Minsker Vereinbarung vom Februar 2015, für deren bisherige Nichtumsetzung der Westen ohne Grund Russland verantwortlich machen will.
Natürlich gelangen die Beschlüsse der „weltweit größte Regionalorganisation“ nicht in unsere „anerkannten Medien“, denn sie passen nicht in das „Geschäftsmodell“ des Westens, das zurzeit auf Konflikt und Konfrontation setzt. Denn nur noch Konflikt und Konfrontation scheint sich noch für die Dollardruckberechtigten zu „lohnen“ – und das selbst auf Kosten der immer weitergehenden globalen Isolation ihres Westens beziehungsweise dessen, was davon noch übrig bleibt.
1 Reaktion zu “… bis der Henkel bricht.”
Lieber Spatz im Gebälk,
vielen Dank für Deine Beiträge. In diesem Zusammenhang darf ich den Blog analitik.de empfehlen, dort findet man eine andere, durchaus spannende Sichtweise auf die derzeitige US-Politik.
Tomj