Ein freudevolles Fest!
21. Dezember 2018 von admin
Weihnachten ist ein Fest der Freude. Freude?, was ist das? Man kann sich über vielerlei freuen, etwa über Geschenke. Ist Freude nur Geschmacksache? Wenn ein Kleinkind über das Gitter seines Ställchens steigt, kommt Freude auf, spontan und uneingeschränkt beim Kind als auch anteilnehmend bei den beobachtenden Eltern – bis, ja bis die Sorge überhandnimmt, der neu eroberte Freiraum könne dem Kind schaden, solange es zum Beispiel das Treppensteigen noch nicht beherrscht. Und schon verdrängt Sorge die Freude. Neue Erkenntnisse, die Grenzen des Wachstums überwinden helfen, sind der eigentliche Grund zur Freude. Vielleicht steckt für Sie in dem Leitthema des Festes „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns“ die Freude, es zu verstehen. Dazu möchte das Folgende ganz nüchtern etwas beitragen.
In der Weihnachtsgeschichte über die Geburt Jesu wird „große Freude“ verkündet, „die allem Volk widerfahren wird, denn Euch ist heute der Heiland geboren…“. Was hat der „Heiland“ (σωθηρ) mit Freude zu tun? Rettung bring Erleichterung, Entspannung von Angst – aber Freude? Die Unklarheit in dieser Frage hat in der Folgezeit zu unterschiedlicher Interpretation des „Heilands“ geführt. Die einen sahen darin den Messias, einen Gesandten Gottes, der sein Volk, das jüdische, aus der, wie immer verstandenen Misere führen wird und dann ganz groß macht. Dass Jesus dieser Messias sei, wird bestritten, weil die mit dem Messias verknüpften Erwartungen nicht eingetroffen sind. Die Germanen, z.B. die alten Sachsen sahen es, wie im Heliand beschrieben, ähnlich. Für sie war Jesus eine Führerperson, die den Leuten sagt, wo es zum glücklichen Leben je nach dem, was man darunter zu verstehen hat, lang geht.
Die frühen Christen sahen es anders. Sie erkannten in Jesus den „Sohn Gottes“. Doch was meinten sie, wenn sie „Gott“ sagten? Der Theologe Arius kam den formalistischen griechischen Philosophen und indirekt auch den Germanen (Ostgoten) entgegen. Für ihn war Gott „ungeworden und ungezeugt“, „anfangslos und ewig“, „unwandelbar und unveränderlich“, also absolut transzendent. Den „Logos-Sohn“, Christus, verstand er als selbständige Hypostase, die von Gott „direkt“ aber in der Zeit erschaffen worden ist. Wie der „unwandelbare…“ Gott schaffen kann, blieb sein Geheimnis. Damit war Jesus aber nicht „wesenseins“, sondern nur wesensähnlich mit Gott. Er unterschied sich als besonderer Schöpfungs-Mittler aber auch wesentlich vom prinzipiell wandelbaren „außergöttlichen“ Seienden. Der in Bethlehem geborene Jesus gilt bei Arius entsprechend als geschaffener Mensch, dem Gott seinen Logos-Sohnes inkorporiert hat. Mohamed und der Islam folgten weitgehend der Sichtweise des Arius und stufte Jesus zu einem von Allah besonders ausgestatteten Propheten herab.
Die westliche christliche Kirche und unser Weihnachtsfest beziehen sich auf Athanasius. Diesem zufolge ist der Mensch Jesus Christus als Inkarnation Gottes wesensgleich mit Gott. Jesus verkörpert als „wahrer Mensch und wahrer Gott“ damit die Gegenwart Gottes in der sich wandelnden Geschichte. Damit hielt ein zum Mysterium verklärter Widerspruch in der abendländischen Kirche Einzug. Das im Gegensatz zum wandelbaren Seienden ewige Prinzip des unwandelbaren Anfangslosen soll im wandelbaren und sterblichen Menschen und mit diesem vereint Geschichte machen, also für Veränderung sorgen. Die mittelalterliche Scholastik kämpfte mit dem Verständnis dieses Mysteriums einen langen aussichtslosen Kampf.
Die säkularisierende abendländische Philosophie hat den formalen „griechischen“ Gottesbegriff bei aller Gottesleugnung beibehalten und nur in die „ewige“ Naturgesetzlichkeit quasi umgetauft. Das Ergebnis war die neuzeitliche Physik, die aus dem unwandelbaren Sein Gottes die unwandelbaren Naturgesetzte werden ließ, die unabhängig von allem, was vom hypothetischen Urknall bis heute geschehen sein soll, gültigen Bestand haben sollen. Eine Verbindung mit dem Menschen kommt nicht zu Stande, allenfalls bei Naturwissenschaftlern, wenn sie Naturgesetze im Wust des Seienden erkennen. Die ubiquitäre, zeitlose Gültigkeit der Naturgesetzte verliert aber in der heutigen Umbruchphase ihre theoretische Basis und die Frage nach dem Sinn und der Zielrichtung des Geschehens erhält neue Berechtigung.
Beim Erkennen kommt Freude auf aber von Weihnachtsfreude kann in diesem Kontext noch wenig die Rede sein – ebenso wenig von einem Gott, der sich um die Menschen und seine Geschichte kümmert. Doch so hatte ihn doch das jüdische Vorverständnis verstanden, das in das abendländische Denken eingeflossen ist. Gott erscheint in den genuin jüdischen heiligen Schriften als der leidenschaftliche Herrscher, der sein Volk durch die Geschichte zum Heil führt und es bei ungehorsamen Abweichungen vom gewiesenen Weg zornig bestraft. Im Unterschied zum jüdischen Gottesverständnis wurde Gott in Jesu Botschaft national entschränkt und die Emotionalität Gottes zum liebenden und treusorgenden Vater veredelt. Darauf beschränkt sich der protestantische Betroffenheits- und Mitmenschlichkeitskult in der ev. Kirche
Der Widerspruch im Gottesbegriff war im Mittelalter nicht unbemerkt geblieben. Philosophische Köpfe banalisierten ihn u.a. zum Paradoxon, dass der allwissende Gott, doch etwas wissen sollte, was der allmächtige nicht schaffen könne und umgekehrt. Frühe Lösungsmöglichkeiten des Paradoxons konnten sich theologisch nicht durchsetzen. So löste Marsilio Ficino zum Beispiel das Paradox, indem er es als Selbstbewusstsein der Allmacht dynamisierte. Etwa so: Gott weiß, dass er alles, was er einmal wollen könnte, dann auch schaffen kann. Was sollte ihn aber bewegen etwas Neues zu wollen? Eine Antwort auf diese Frage fand im Grunde schon Pierre Abelard. Er meint, die Schöpfung Gottes sei nicht abgeschlossen und Vollkommenheit sei kein statischer Zustand, sondern ein Prozess, eine sich in der Vorstellung wandelnde, durch immer neue Aufgaben stetig vorangetriebene Vervollkommnung. Dass sich die Aufgaben und entsprechende neue Zielsetzungen in der Regel an den sich im Zuge der Entwicklung in den Weg stellenden „Grenzen des Wachstums“ und Unzulänglichkeiten des Seins bilden, könnte der „Stall von Bethlehem“ oder auch das „Kreuz von Golgatha“ angedeutet haben.
Abelard knüpfte damit an eine Interpretation der platonischen Ideenlehre an, die im Abendland vorübergehend versickert war. Danach beziehen sich die „Ideen“ nicht auf abstrakte Begriffe oder allgemeingültige Prinzipien, sondern auf neue kreative Vorstellungen, die der praktischen Umsetzung in dem sich wandelnden und vervollkommnenden Sein vorausgehen. Etwa – um es banal zu veranschaulichen – sind es Vorstellungen eines Sitzmöbels, die den ersten Möbelschreiner veranlasst haben, den ersten Stuhl zu erfinden und danach immer zweckvollere. Dem entsprechend deutete Abelard die Menschwerdung Gottes so, dass der Mensch sein Wesen quasi als freiwilliger Helfer Gottes bei der fortschreitenden Vervollkommnung der Schöpfung verwirklicht, wenn er sich aus Bequemlichkeit oder Bösartigkeit der Herausforderung nicht stellt, auch verfehlen kann. Ähnlich dachte schon Augustinus im Zusammenhang mit dem „Ruhe finden in Gott“.
Damit leiteten beide genannten Denker (neben anderen), ohne bisher dafür gelobt zu werden, die moderne Wandlung des naturwissenschaftlichen Weltbildes ein. Der letztlich theologisch begründete Glaube an unwandelbare ewig gültige Naturgesetze wird abgelöst durch die Vorstellung, dass das Universum sich in stetiger Entwicklung befinde und Naturgesetzte im Zuge dieser Entwicklung neu entstehen und sich quasi wie Gewohnheiten im Laufe der Entwicklung des Universums kontinuierlich präzisieren (einschleifen) und verfestigen.
Damit würde der nihilistischen Annahme von der Zufälligkeit und letztlich auch Belanglosigkeit des Seienden im Allgemeinen und des menschlichen Lebens im Besonderen der theoretische Boden entzogen. Unterliegt das Universum insgesamt (und nicht nur die irdische Biosphäre) einer Evolution, entwickelt es sich, dann hat diese Entwicklung – etwa von der energetischen Dynamik nach dem angeblichen Urknall, über die Entstehung einer Lithosphäre hin zur Dynamik der Biosphäre und darüber hinaus in die Noosphäre der gestaltenden Ideen und ihrer praktischen Verwirklichung in der Technologie – eine Zielrichtung. Beim schöpferischen Erfassen einer solchen praktischen neuen Idee kommt in der Tat Freude auf, was auf die damit verbundene Wesensbestimmung des Menschen hindeuten könnte.
Die Menschwerdung Gottes setzt am Übergang von der Biosphäre zur Noosphäre ein, an der jeder Mensch teilhaben sollte. Doch die Beteiligung aller Menschen an der Entwicklung der Noosphäre ist auch an politische und wirtschaftliche Voraussetzungen gebunden, die alle Menschen von Not und Bedrängnis aber auch von Ängsten befreit, was beim heutigen Stand der wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten durchaus der Fall sein könnte (wenn es die faktisch Regierenden, die Großgeldbesitzer oder Top-Bankiers aus Sorge um den Erhalt ihres Herrschaftsanspruchs denn wollten.) Die Bewusstwerdung dieses Übergangs von der Bio- zur Noosphäre mit den entsprechenden Implikationen versucht die Zweinaturenlehre der Christologie theologisch und die Weihnachtsgeschichte mythologisch verständlich zu machen. Darin könnte die Botschaft der Engel in Bethlehem ihren Grund haben. Der Spatz wünscht allen seinen Lesern Anteil an dieser Freude.