70 Jahre NATO
19. April 2019 von admin
Unsere Politiker gefallen sich in der Vorstellung, dass Russland (oder Putin) ihre Wahlen beeinflusst. Beweise für konkrete Maßnahmen konnten sie trotz erheblicher Bemühungen keine vorlegen. Es blieb bei Behauptungen. Aber vielleicht haben sie doch Recht, nur in einem etwas anderen Sinn. Nachdem Russland 1990 die kommunistische Ideologie und später auch die der Marktgesellschaft hinter sich gelassen hat, beeinflusst es mit seine Ideen der Selbstbehauptung gegen die Beeinflussung und Manipulation durch „den Westen“ andere Menschen und Regierungen im Westen indirekt.
Erinnern wir uns: Vor 20 Jahren begann die NATO ihre Expansion gegen Osten und zwar entgegen ausdrücklicher Zusicherungen seitens der Bush-Regierung und andere Führungspersönlichkeiten des Westens an Mikhail Gorbatschow, dies nicht zu tun. Es zeigte sich, dass “Präsident George HW Bush, Außenminister Hans-Dietrich Genscher, Bundeskanzler Helmut Kohl, der CIA Direktor Robert Gates, Französische Präsident Francois Mitterrand, die britische Premierminister Margaret Thatcher und John Major, ihr Außenminister Douglas Hurd, und NATO Generalsekretär Manfred Wörner den Russen zugesichert hatten, die NATO würde nicht expandieren. Letzterer hatte noch am 17.5.1990 in Brüssel gesagt: „Die Tatsache, dass wir bereit sind, keine NATO Armee jenseits des deutschen Territoriums zu stationieren (to place) gibt der Sowjet Union eine verlässliche (firm) Sicherheitsgarantie.“
Die NATO wusste natürlich, dass die Ost-Expansion Russland bedrohen und alarmieren musste, hielt das aber für unbedenklich, da Russland geschwächt war. Schon 2004 (10 Jahre vor dem Ukraine Putsch) verlegte die NATO ihre Streitkräfte bis unmittelbar an Russlands Grenzen, als sie Estland, Lettland und Litauen aber auch Bulgarien, Rumänien, die Slowakei and Slowenien entgegen frühere Abmachungen integrierte. Damals gab die Militärische Führung der NATO bekannt, sie habe „ihre Vorwärtspräsenz im östlichen Teil des Bündnisses mit vier multinationalen Schlachtgruppen in Bataillongröße in Estland, Lettland, Litauen und Polen auf Rotationsbasis ausgebaut.“ Hinzu kamen angeblich gegen Iran gerichtete Raketenabwehrstellungen in Polen und Rumänien, deren einziger Sinn nur die Absicherung eines Präventivschlag („preemptive strike“) gegen Russland sein konnten.
Auf diese Maßnahmen hin äußerte Präsident Putin auf der Münchner Sicherheits-Konferenz 2007, (laut Washington Post): “Ich denke, es ist offensichtlich, dass die NATO Expansion keinerlei Bezug zur Modernisierung der Alliance oder zur Steigerung der Sicherheit in Europa hat. Im Gegenteil, sie stellt eine ernsthafte Provokation dar und reduziert das Niveau gegenseitigen Vertrauens. Und wir haben das Recht zu fragen: Gegen wen richtet sich diese Expansion? Und wie steht es um (what happened to) die Zusicherungen unserer westlichen Partner, die sie nach der Auflösung des Warschauer Pakts gegeben haben? Wie verhält es sich mit jenen Erklärungen heute? Man erinnert sich nicht einmal mehr daran. Doch ich nehme mir heraus, dieses Auditorium daran zu erinnern, was damals gesagt worden war.“
Neben den verheerenden „Fehlern“ (eigentlich waren das Konsequenzen der „Strategie Chaos“ der USA) in Afghanistan und Libyen und dem Deckmantel „Krieg dem Terror“, der den Terror erst wirklich gezüchtet hat, hat dieses Vorgehen bewirkt, dass immer weniger Leute den Versprechungen und Behauptungen des Establishments in der Öffentlichkeit glauben (vom Bericht der Warren Commission bis zum 9/11 Bericht oder die offizielle Arbeitslosenstatistiken etc.). Die überversorgten Politiker werden zwar beneidet, aber genau deshalb auch für korrupt, hinterhältig und unehrlich gehalten. Populäre Sendungen wie “The Boss” und “The House of Cards”, liefern dafür entsprechendes Anschauungsmaterial frei Haus. Das und die schleimige Medienpropaganda sorgte als Reaktion in der deutschen Öffentlichkeit für eine kritische Einstellung gegenüber den Anfeindungen und Warnungen vor Russland. Auf diese Weise hat Russland tatsächlich das Denken vieler im Westen beeinflusst. Und seitdem irren sich die Experten in den USA und in Europa bei Wahlvorhersagen zunehmend und werden vom Verhalten der Wählerschaft überrascht und verunsichert, denn in Deutschland wagt sich z.B. kaum einer – befragt welche Partei er wähle – öffentlich die in allen Medien angeschmierte AFD zu nennen.
Auch als die Globalisierung in aller Munde war und man noch von einer Welt ohne Grenzen träumte, erinnerte Moskau schon aufgrund seiner Erfahrungen mit dem Westen daran, wie wichtig die eigene Souveränität und die Verfolgung der eigenen nationalen Interessen auch im 21. Jahrhundert noch ist. Auf diese Weise könnte Russland das Aufkommen des sogenannten Populismus im Westen gefördert haben und möglicherweise am Brexit, an der Stimmung gegen die Immigration und das wieder Aufkommen sogenannter „rechter“ Parteien sogar mit Schuld tragen. Die Eigenverantwortung an diesen Entwicklungen kann der Westen natürlich nicht sehen, für deren Verantwortliche sind immer nur die anderen Schuld.
Ob der Begriff „deep state“ von dem türkischen Begriff derin devlet herrührte oder aus eigenen Erfahrungen vornehmlich in den USA gebildet wurde ist unerheblich. Jedenfalls drückt der Begriff aus, dass hinter den scheindemokratischen Institutionen, die nichts wirklich entscheiden, allenfalls geködert zustimmen, ein enges, nichtgewähltes Geflecht an Geldgrößen und Einflussspezialisten entscheiden, wohin die Gesellschaft tatsächlich entwickelt werden soll. Diese autokratische Struktur verbirgt sich immer fadenscheiniger hinter dem demokratischen Theater und schreckt keineswegs vor Gewalt, Bestechung und Manipulation zurück, um ihre Konzepte einer eingelullten Zivilgesellschaft aufzunötigen. Dass darauf auch russische Medien aufmerksam machen – wie auch neben vielen Wikileaks, dessen Julian Assange dafür nun büßen muss – ärgerte natürlich das Establishment und leitete wie auch die enttäuschte Hoffnungen, dieses Land übernehmen und aufschulden zu können, seine Anti-Russland-Kampagne der letzten Jahre.
Vorzeitig zum Jubiläum ihres 70-jährigen Bestehen (April 2019) bezog die NATO 2018 ihr neuen Hauptquartier, das laut NATO die Kleinigkeit von gut 1,1 Mrd. Euros (1.23 bln. USD) gekostet hat. Ein anderes, 20-jähriges NATO-Jubiläum (12.3.1999) betraf die Unterzeichnung des Aufnahmeprotokolls in die NATO seitens der Außenminister Polens, Ungarns und der Tschechischen Republik in Anwesenheit ihrer US-Kollegin Madeleine Albright. 1949 war es um ein Strategisches Konzept zur Verteidigung des Nordatlantikraums gegangen. Seitdem wird immer wieder die Phrase „Verteidigung“ hochgehalten. Tatsächlich stand bereits vom Anfang an das Konzept des „Roll Back“ kommunistischer Herrschaft im Zentrum der Planung. Nach Beendigung der angeblichen sozialistisch/kommunistischen Regierungsform im Ostblock und der Auflösung des Warschauer Pakts blieb davon nur noch die stets wiederholte leere Phrase von der „Russischen Aggression“ übrig. Zur Bestätigung greift man auf den Widerstand eines großen Teils der russischen Bevölkerung zurück, den diese in den 1953 unrechtmäßig an die Ukraine übergebenen ehemaligen russischen Landesteilen der Ukraine gegen einen Putsch chauvinistischer Kreise in Kiew gewagt hatte, einen Putsch, den zu organisieren die USA nach eigenen (allerdings illegal aufgedeckten) Angaben, 5 Milliarden Dollar gekostet hatte.
Die Verlegung großer Militärkontingente der NATO an die russische Grenze und vor allem der Militärhaushalt der NATO sprechen eine andere Sprache. Immerhin gibt die NATO seit langem gut 20 Mal mehr Geld für Rüstung aus als Russland. Spricht das für die Verteidigungsbereitschaft oder wird hier ein Angriff vorbereitet? Letzteres wohl nicht, jedenfalls wenn man die NATO-Länder insgesamt betrachtet. Eher handelt es sich wohl um ein Wirtschaftsprogramm, das Geld aus den NATO-Ländern in die amerikanische Rüstungsindustrie spülen soll, wie sich an dem Streit um den Wunsch der Türkei zeigt, statt amerikanischer Patriot-Systeme russische S-400 anzuschaffen. Im letzten Jahr hat das Pentagon dem Kongress bekannt gegeben, dass die Europäer rund $37.4 Mrd. für US-Rüstungsgüter auszugeben hätten. Davon haben vor allem die Firmen Raytheon, Lockheed Martin und Northrop Grumman profitiert und entsprechend sind deren Aktien an den Börsen gestiegen. Deutschland habe sich laut Financial Times in Washington so unbeliebt gemacht, weil es die “highest-priced“ F-35 nicht kaufen wollte.
Die US-Rüstungs- und Geheimdienst-Industrie (letztere mit einen Jahreshaushalt von 86 Mrd. USD!) und ihre Finanziers stellen die eigentlichen politischen Führungskader des „deep state“. (Vgl. Das Buch des langjährigen “Senior analyst on the House and State Budget committees” der US-Kongressverwaltung, Mike Lofgren, The Deep State, The Fall of the Constitution and the Rise of a Shadow Government, Penguin Books 2016).
Die NATO lobte sich bei den Feierlichkeiten als die erfolgreichste Allianz in der menschlichen Geschichte. Es fragt sich nur nach welchen Kriterien. Der US-Präsident behauptete, die NATO „protects Europe and North America from Russian aggression.“ Wenn hat die NATO in den 70 Jahren verteidigt und wann wäre das geschehen und gegen welche der russischen Aggressionen? Dafür unterhält die NATO ein Verteidigungsbudget von knapp einer Billion USD im Jahr. Die Europäer sind mit rund 264 Mrd. USD dabei. China hat einen Militärhaushalt von 168 Mrd. USD und Russland von insgesamt 63 Mrd. USD. Trotz eines 20-fach höheren Rüstungsetats als derjenige Russlands spricht die NATO von russischer Bedrohung. Deutet eine solche Ungleichheit der Rüstungsausgaben auf einen “Erfolg” hin. Wenn etwas „erfolgreich” war, dann nur die Anwerbung von Rüstungsaufträge aus Europa für die US-Rüstungsindustrie. Wen wundert es, dass die bisherige Unterstützung der Öffentlichkeit für die NATO in Europa dahinschwindet. Der internationale Datenerfasser YouGov veröffentlichte am 3.4. “Während 2017 noch fast ¾ der Britten (73%) die Mitgliedschaft in der NATO befürworteten, so ist sie der Anteil inzwischen auf 59% gesunken. Ähnlicherweise ist die Unterstützung in Deutschland von 68% auf 54% und in Frankreich von 54% auf 39% gefallen.“
Und was „die Verteidigung“ betrifft: Der Investigativ-Journalist Max Blumenthal veröffentlichte am 13.4. über das Portal Grayzone einen Bericht über eine private Gesprächsrunde, die der in Washington, D.C. ansässigen Thinktank „Center for Strategic and International Studies“ (CSIS) unter dem Titel „Assessing the Use of Military Force in Venezuela“ (Einschätzung militärischer Gewalt in Venezuela) am 10.4. organisiert hatte. Man hielt sich bisher zurück, weil man das russische Risiko noch fürchtet.
Und dann noch etwas zur Meinungsfreiheit im Westen, d.h. die Freiheit sich eine Meinung bilden zu können: „Die Verhaftung des Wikileaks-Verlegers Julian Assange durch die britische Regierung im Rahmen einer Auslieferungsverfügung der USA in der vergangenen Woche ist ein Angriff auf uns alle. Es ist ein Angriff auf die US-Verfassung. Es ist ein Angriff auf die freie Presse. Es ist ein Angriff auf die freie Meinungsäußerung. Es ist ein Angriff auf unser Recht zu wissen, was unsere Regierung mit unserem Geld in unserem Namen macht. Julian Assange ist genauso ein politischer Gefangener wie Kardinal Mindszenty in Ungarn oder Nelson Mandela in Südafrika. Sie und viele andere wurden eingesperrt, weil sie die Wahrheit über ihre Regierungen gesagt haben.“ Ron Paul (Ron Paul Institute) am 17.4.2019
Übrigens: „Ich bin dann mal weg“ (für 1½ Monate), kein Spatz bis Mitte Juni.
9 Reaktionen zu “70 Jahre NATO”
Es ist Zeit, Ihnen ein riesengrosses Dankeschön für die exzellenten wöchentlichen Artikel auszusprechen. Stellt sich die Frage, wie ich bis im Juni an ähnlich wertvoll aufgearbeitete Informationen komme…
Da kann ich jetzt nur sagen: „Nachdenken“
Lieber Dr Joe,
vielleicht mal gelegentlich bei Net News Express reinschauen. Die Spatz-Artikel werden dort auch regelmäßig verlinkt. Ich denke, dass Sie dort in der Zwischenzeit interessante Artikel finden werden.
Beste Grüße und schöne Ostertage.
Hier noch der Link zu Net News Express:
https://www.net-news-express.de/
@dass Russland (oder Putin) ihre Wahlen beeinflusst.
stimmt doch – allein durch ihre Existenz !
Schließlich sitzt der böse Putin auf dem amerikanischen Öl und Gas und will es nicht rausrücken !
Den Fehler haben schon andere gemacht, auf ihrem Eigentum gegenüber den Amerikanern zu bestehen und dafür bluten müssen !
Ob er wohl Stalin immer noch für gut hält – oder seine Politik nicht als Fehler betrachtet – so im nachhinein ?
mfg zdago
Sehr geehrter Dr. Boettiger,
ich wünsche Ihnen eine gute Zeit,….und…..bitte kommen Sie heil zurück.
Dr. M. Richter
Danke!
@ admin
Ich werde Ihre excellenten gut recherchierten Beiträge vemissen.
Bin ja Mitte Juni wieder da!